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Sustainable Finance wird erwachsen (Teil 1)

Sustainable Finance steht für ein nachhaltiges Finanzsystem, das die Aspekte Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (sog. „ESG-Aspekte“) berücksichtigt. Für den Finanzsektor gewinnt Sustainable Finance zunehmend an Bedeutung.

Die weltweiten Vermögenswerte mit einem ESG-Label wuchsen bis Ende 2020 auf ein Volumen von 35 Billionen US-Dollar und könnten bis Ende 2022 auf 41 Billionen US-Dollar  ansteigen. Allerdings sind solche Schätzungen mangels klarer Definitionen mit Vorsicht zu interpretieren.

Sustainable Finance baut großteils auf konventionellen Anlageklassen auf (vor allem Aktien, aber auch Anleihen). Je nach ESG-Eigenschaften und der verwendeten nachhaltigen Anlagestrategie werden Vermögenswerte in Portfolios aufgenommen bzw. daraus ausgeschlossen. Die gängigsten Strategien sind „ESG-Integration“, „negatives Screening“ und „Shareholder Engagement“.

Investmentfonds mit einem ESG-Label verwalten weltweit Vermögenswerte von rund drei Billionen US-Dollar

Die meisten dieser Fonds tragen ein breit gefasstes Nachhaltigkeitslabel. Das gesamte Emissionsvolumen von nachhaltigen Anleihen belief sich 2021 auf 1 Billionen US-Dollar, wovon grüne Anleihen die Hälfte ausmachten. Trotz des kräftigen Wachstums bestehen noch Hindernisse für Sustainable Finance:

  • Eine allgemein akzeptierte Definition von „ESG“ oder „nachhaltige Investition“ fehlt;
  • es mangelt an Daten zu ESG-Kennzahlen;
  • es gibt Unsicherheit über die langfristige politische Gestaltung der ökologischen Wende. Die Regulierung versucht, mit der Marktdynamik Schritt zu halten. Ziel der Regulierungsbehörden ist es, den Kapitalfluss in nachhaltige Aktivitäten zu erleichtern und einen kohärenten und robusten Rahmen zu schaffen. Dies umfasst die Ausarbeitung von Taxonomien, Offenlegungsvorgaben und produktbezogene Regulierung (z.B. Standards für grüne Anleihen).

Sustainable Finance wird weiter wachsen und konzeptionell reifer werden. Die fundamentalen Treiber sind nach wie vor intakt und könnten sogar noch stärker werden, sobald ein klarer regulatorischer Rahmen vorhanden ist. Kurzfristig sorgen jedoch ein schwieriges makroökonomisches Umfeld und die Vielzahl der neuen regulatorischen Anforderungen für Gegenwind.

Sustainable Finance – wie die ökologische Wende durch den Finanzsektor gelenkt werden soll

Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hat sich die Welt zum Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°C, möglichst sogar 1,5°C zu begrenzen. Allerdings haben sich die Maßnahmen und Bemühungen um eine Dekarbonisierung der Wirtschaft global betrachtet bisher als unzureichend erwiesen. Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge erreichten die globalen CO2-Emissionen im Jahr 2021 aufgrund der Konjunkturerholung nach der Corona-Pandemie den Rekordstand von 36,3 Gigatonnen. Vor diesem Hintergrund wird zunehmend erwartet, dass auch der Finanzsektor seinen Beitrag zur ökologischen Wende leistet. Vereinfacht gesagt sollen Banken, Vermögensverwalter und Anleger zunehmend statt auf „braune“, CO2-intensive Vermögenswerte auf „grüne“, CO2-arme Anlagen setzen.

Der Finanzsektor ist bestrebt, den ökologischen Umbau der Wirtschaft zu unterstützen.

Für die Branche gewinnt Sustainable Finance in der Tat stetig an Bedeutung. Das hat vor allem zwei Gründe:

Der Sektor wird sich der potenziell erheblichen Auswirkungen des Klimawandels immer stärker bewusst und berücksichtigt daher bei seinen Entscheidungen zunehmend Klimarisiken – und zwar sowohl im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck der eigenen Geschäftstätigkeit als auch insbesondere bei der Kapitalallokation an Kunden. Klimarisken umfassen zum einen physische Risiken infolge des Klimawandels (z.B. eine höhere Wahrscheinlichkeitvon Überschwemmungen und Dürren) und zum anderen Übergangsrisiken, die sich aus einem sich ändernden regulatorischen Umfeld ergeben (z.B. steigende CO2-Preise oder Verbote bestimmter Technologien). Auchdie Aufsichtsbehörden interessieren sich inzwischen für solche Risiken. Das jüngste Beispiel dafür ist der im ersten Halbjahr 2022 durchgeführte EZB-Klimastresstest.

Der Finanzsektor scheint bei der Hinwendung zu Sustainable Finance auch von wertebasierten Motiven geleitet zu sein. So deuten Umfragen darauf hin, dass sowohl Emittenten als auch Anleger in den Markt für grüne Anleihen einsteigen mit dem Wunsch zu zeigen,

  • dass sie es mit ihren ökologischen und sozialen Versprechen ernst meinen,
  • dem Trend zu folgen und sich neue Kundensegmente zu erschließen und
  • Geschäftsrisiken, insbesondere Reputationsrisiken, zu reduzieren.

Diese Beweggründe sind mindestens ebenso bedeutsam wie eventuelle direkte finanzielle Vorteile.

Zahlreiche Finanzmarktteilnehmer haben sich im Rahmen verschiedener Initiativen dazu verpflichtet, zu mehr Nachhaltigkeit im Sektor beizutragen. Bekannte Beispiele sind die „Principles for Responsible Investment“ (PRI) und die „Glasgow Financial Alliance for Net Zero“ (GFANZ). Der Letzteren haben sich bisher über 500 Banken, Vermögensverwalter und -besitzer, Versicherungsgesellschaften, Dienstleister und Berater angeschlossen.

Diese Studie befasst sich mit der Frage, wo Sustainable Finance heute steht und wie die weitere Entwicklung aussehen dürfte. Im Fokus stehen dabei

  • Die jüngsten Veränderungen im Sustainable Finance-Markt und der Unterschied zur konventionellen Finanzierung,
  • Hindernisse, die im Zuge des weiteren Wachstums von Sustainable Finance noch zu überwinden sind, und
  • Aktuelle regulatorische Initiativen.

Es folgen weitere Teile der Studie.