Menschenrechte kaum Thema bei der ESG-orientierten Geldanlage

Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Facing Finance und urgewald haben ein Update des kostenlosen Verbraucherportals Faire Fonds Info veröffentlicht, das Nachhaltigkeitschecks von Investmentfonds ermöglicht. Das Portal durchleuchtet die Investments von 2.885 in Deutschland zugelassenen Publikumsfonds in 1.120 ausgewählte Unternehmen, die wegen Verstößen gegen internationale Normen und Standards in den Bereichen Umwelt, Soziales oder Governance in der Kritik stehen. Untersucht werden unter anderem die Eigen- und Fremdfonds der vier größten deutschen Fondsgesellschaften Allianz Global Investors, Deka, DWS und Union Investment. 839 der bei Faire Fonds Info analysierten Fonds sind ETF (Exchange Traded Funds).

Jeder 5. Euro wird nachhaltig investiert

Mehr als die Hälfte (1.782) der vom Verbraucherportal untersuchten Fonds werden von Lipper for Investment Management als „ESG-Fonds“ gelabelt. 1.496 von ihnen sind nach der EU-Offenlegungsverordnung als Artikel 8 klassifiziert; 286 der Fonds sind Artikel 9-Fonds. Insgesamt untersuchte das Portal zum Zeitpunkt der Analyse (Rechercheschluss 17. März 2023) ein verwaltetes Vermögen von mehr als 2,6 Billionen Euro, von denen 1,4 Billionen von ESG-Fonds verwaltet wurden. Insgesamt waren zum Untersuchungszeitpunkt 422 Milliarden Euro (16 Prozent; rund jeder fünfte Euro) der in Deutschland vertriebenen Publikumsfonds in Aktien und Anleihen von Unternehmen investiert, die laut Faire-Fonds-Info-Methodik im Konflikt mit internationalen Normen und Standards stehen. 174 Milliarden Euro entfielen davon auf ESG-Fonds – also rund jeder achte Euro.

Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen bleiben weiter ein Problem

214 Milliarden Euro waren zum Untersuchungszeitpunkt in 66 börsennotierte Unternehmen aus den Branchen Automobil, Informationstechnik und Agrarwirtschaft investiert, denen laut Corporate Human Rights Benchmark (CHRB) in ihren eigenen Geschäftsaktivitäten oder entlang ihrer Lieferkette Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen vorgeworfen werden und die hierauf nicht angemessen reagiert hätten. Die Faire Fonds Info-Analyse zeige, dass beispielsweise trotz der Berichterstattung zu Arbeitsrechtsverstößen in Lieferketten der Tech-Industrie konventionelle, aber auch ESG-Fonds häufig und zum Teil umfassend in Konzerne dieser Branche investieren. Ein Viertel der insgesamt 2.884 untersuchten Fonds waren zum Untersuchungszeitpunkt zum Beispiel in Microsoft (707 Fonds) investiert, dicht gefolgt von Apple (656) und Amazon (470). Selbst die untersuchten ESG-Fonds (1.782) waren zu einem Viertel an Microsoft beteiligt (466), ebenfalls gefolgt von Apple (380) und Amazon (246). In diesem Kontext steht häufig der Rohstoffkonzern Glencore als Zulieferer der Technologiekonzerne Microsoft, Alphabet, Dell oder Apple in der Kritik. Glencore wird vorgeworfen, in Kobaltminen in der Demokratischen Republik Kongo Kinder, die teilweise erst sechs Jahre alt sind, zu beschäftigen – für circa 1,5 Dollar am Tag und bis zu sechs Tage in der Woche.

3/4 aller ESG-Fonds investieren in zweifelhafte Unternehmen

Rund 78 Prozent der ESG-Fonds der Allianz sind in mindestens ein Unternehmen investiert, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Bei den ESG-Fonds von Union Investment sind es rund 76 Prozent, bei der DWS rund 74 Prozent. Bei der Deka sind es 23 Prozent der ESG-Fonds, die in mindestens eins der vom CHRB untersuchten Unternehmen investiert sind, die nicht angemessen auf Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen reagiert haben. Die neue Untersuchung von Faire Fonds Info zeige zudem, dass 46 Prozent aller untersuchten Fonds und selbst 39 Prozent aller ESG-Fonds nach wie vor in Waffenexporteure investieren. Unternehmen aus den USA, Frankreich, Großbritannien, aber auch aus Deutschland belieferten Länder wie zum Beispiel Saudi-Arabien in teils großem Umfang mit Waffen und Munition – trotz der bekannten Risiken von damit begangenen Kriegsverbrechen im Jemenkrieg und Menschenrechtsverletzungen.