Nachhaltigkeit & Female Finance – Geschäftsfeld tritt neu auf die Bühne

Sustainable Finance nimmt Einzug in die Finanzwelt. Neben regulatorischen Vorgaben und Berichtspflichten beobachten wir, wie Nachhaltigkeit zunehmend in den Fokus der strategischen Ausrichtung von Finanzdienstleistern rückt. Auch für Kunden gewinnt Nachhaltigkeit bei der Wahl von Finanzdienstleistungen immer mehr an Bedeutung und wird sich in Zukunft verstärkt zum Hygienefaktor entwickeln.

Einhergehend mit einer positiven Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Finanzprodukte signalisieren Kunden ein verstärktes Nachhaltigkeitsempfinden im Finanzwesen. Die steigende Nachfrage befeuert damit die zunehmende Attraktivität des neuen Geschäftsfeldes Sustainable Finance. Female Finance stellt dabei ein Subsegment dar, das in Zukunft die soziale Komponente der Nachhaltigkeit stärker ins Visier nehmen wird.

Die vielen Facetten von Sustainable Finance

Obwohl ökologische, klimabezogene und regulatorische Themen aktuell im Zentrum der Nachhaltigkeitsdebatten stehen, gilt es auch einen Blick auf das Soziale zu richten: Mit dem fünften Ziel der Sustainable Development Goals der UN wird Gender Equality als konkretes Nachhaltigkeitsziel definiert. Sie setzt die Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit durch Chancengleichheit und eine gleichberechtigte, soziale und ökonomische Teilhabe von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft voraus. Gender Equality ist auch in der Finanzwelt eine zentrale Fragestellung: Sie kommt unter dem Begriff des sogenannten Financial Services Gap zum Ausdruck und zeigt, wie eine paritätische Versorgung, Teilhabe und Berücksichtigung von Frauen und ihren Bedürfnissen in der Finanzwelt gewährleistet wird. Je größer diese Lücke, umso größer die Diskrepanz der gleichberechtigten Versorgung der Geschlechter.

Der Financial Services Gap kann als Indikator herangezogen werden, um einen kritischen Blick darauf zu werfen, wie die Bedürfnisse von Frauen im Finanzwesen abgedeckt werden, um eine Barrierefreiheit in Bezug auf Wissens- und Informationsbeschaffung, sowie einen gleichberechtigten Zugang zum Finanzmarkt sicherzustellen. Der Indikator gibt Aufschluss über geschlechtsspezifische Unterschiede im Angebot und Bereitstellung von Finanzdiensten und zeigt die Differenzen der gleichberechtigten Versorgung. Das Fehlen zielgruppenorientierter Angebote hat auch eine betriebswirtschaftliche Komponente: sie führt zu ökonomischen Einbußen, weil bestehende Potenziale nicht ausgeschöpft werden. Denn fehlende Angebote beziehungsweise eine Unterversorgung der Zielgruppe führen im Umkehrschluss zu entgangenen Wachstums- und Ertragschancen und damit zu verschenktem Geschäftspotenzial. Dabei ist Female Finance alles andere als ein reines Frauen- bzw. Nischenthema – es ist ein attraktiver Wachstumsmarkt, der im Zuge des Zeitgeschehens immer klarer zum Ausdruck kommt.

Der Financial Services Gap und seine Folgen

  • 80 Prozent der Kaufentscheidungen weltweit werden von Frauen getroffen, obwohl nur circa 10 Prozent der Angebote von Frauen entwickelt werden.
  • 30 Prozent des Vermögens in Westeuropa ist in Frauenhand. Noch nie in der Geschichte haben Frauen so viel Vermögen und Einkommen erwirtschaftet wie heute – 12 Prozent der weltweiten Ultrareichen sind Frauen, das ist historischer Höchststand. 39 Milliarden umfasst das Investitionspotenzial bei Frauen zwischen 30 bis 60 Jahren in Deutschland und Österreich.
  • Gleichzeitig verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer.
  • Auch mit vergleichbarer Qualifikation und ähnlichen Jobprofil liegt der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap bei etwa sieben Prozent.
  • Während ihres Erwerbslebens erwirtschaften sie etwa 45 Prozent weniger als Männer.
  • Nach Ausscheiden aus dem Berufsleben beziehen Frauen bis zu 49 Prozent weniger Renteneinkünfte. Statistisch gesehen ist fast jede fünfte Frau in Deutschland von Altersarmut betroffen, da sie die Vorsorgelücke im Alter nicht schließen kann. Für drei von zehn Frauen wird der Mann somit zur Altersvorsorge.
  • Größere Einkommens- und Vermögensunterschiede, höhere Volatilitäten in Einkommen und Liquidität, Unterschiede in Lebensphasen (Schwangerschaft, Kindererziehung, Care Zeit) führen unter anderem dazu, dass Frauen einen schlechteren Zugang zu Finanzdiensten haben, sowie stärker von automatisierten Bias betroffen sind, die sich in Form von schlechteren Kreditkonditionen oder geschlechtsspezifischen Benachteiligungen äußern. Damit vergrößert sich die Lücke im Finanzwesen, die eine paritätische Versorgung der Geschlechter gefährdet. Dabei werden weltweit circa 800 Milliarden USD an entgangenem Gewinn verzeichnet, da keine bedürfnisorientierten Finanzdienste für Frauen angeboten werden.

Female Finance – Keine Nische, sondern attraktiver Wachstumsmarkt

Frauen sind stärker von finanziellen Fehlentscheidungen und fehlendem Finanzwissen betroffen als Männer. Sie haben spezielle Ansprüche an Beratungs- und Serviceleistungen und ein differenziertes Informationsbedürfnis zu Finanzprodukten und ihren Auswirkungen. Einkommens- und Vermögensverhältnisse zeigen Unterschiede zum „Standard“, die unter anderem durch fehlende Liquidität, geringerem Sparverhalten und höheren Volatilitäten gekennzeichnet sind. Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Sicherheits- und Auskunftsbedürfnis, Anlagehorizont und Flexibilität, die in klassischen Finanzkonzepten nicht ausreichend berücksichtigt werden. Gleichzeitig haben Frauen unterschiedliche Lebensphasen, die durch Brüche in Einkünften gekennzeichnet sind, die nicht automatisch in eine Benachteiligung beziehungsweise Unterversorgung im Finanzwesen führen dürfen. Damit werden besondere Bedürfnisse in der klassischen Produktlandschaft und Anlageberatung kaum berücksichtigt, denn Finanzdienstleistungen sind nicht genderneutral – 90 Prozent der digitalen Finanzdienstleistungen werden von Männern entwickelt. Viele dieser Phänomene haben historische und kulturelle Wurzeln und sind die Folgen eines „klassischen Rollenverständnisses“ in der Gesellschaft. So dürfen Frauen in Deutschland etwa erst seit 1962 ein eigenes Bankkonto haben. Eine Maßnahme, um das „Geheimsparen von Frauen und das Abzwacken des Haushaltsgeldes“ zu verhindern. Bis 1977 war es in Deutschland möglich, dass der Ehemann einen bestehenden Arbeitsvertrag seiner Frau kündigen konnte, wenn „eheliche Pflichten verletzt“ wurden.

Ob Frauen tatsächlich andere Finanzdienstleistungen als Männer brauchen, gilt es in diesem Kontext näher zu debattieren. Dass jedoch eine mangelnde Berücksichtigung zu spürbaren Benachteiligungen und einer Unterversorgung führt sowie Frauen den Zugang zum Finanzmarkt erschwert, ist ein offenes Geheimnis.

Der Ausblick

Sustainable Finance ist ein Wachstumsmarkt. Neben ökologischen und regulatorischen Herausforderungen fördert sie die Entstehung neuer Geschäftsfelder mit attraktiven Chancen für Wachstum und Ertrag. Die soziale Komponente der Nachhaltigkeit rückt immer mehr in den Fokus und erfordert das Angebot differenzierter Produkte und Services. Mit Female Finance entwickelt sich ein attraktives Geschäftsfeld, das insbesondere auf die besonderen Bedürfnisse der Frauen im Finanzwesen aufmerksam macht und eine Handlungsnotwendigkeit aufzeigt.