ESG-Risiken gewinnen im Kreditprozess immer mehr Gewicht

Rund ein Drittel deutscher Banken und Sparkassen berücksichtigt ESG-Risiken bei der Entscheidung über einen Firmenkundenkredit, bei mehr als der Hälfte laufen bereits konkrete Planungen dafür. Das ergab die gemeinsame Studie „Berücksichtigung von ESG-Kriterien im Kreditprozess für Firmenkunden“ von PPI und FH Münster.

Fast 90 Prozent der deutschen Finanzinstitute haben Nachhaltigkeitskriterien bereits in ihren Kreditprozess für Firmenkunden einbezogen oder planen zumindest, dies zu tun. Zu diesem Ergebnis kommt die vom Hamburger Beratungs- und Softwarehaus PPI und der FH Münster gemeinsam durchgeführte Expertenumfrage „Berücksichtigung von ESG-Kriterien im Kreditprozess für Firmenkunden“. Fach- und Führungskräfte aus dem Kreditbereich von Banken und Sparkassen gaben Auskunft, inwieweit Risiken aus den Bereichen Environmental (Umwelt), Soziales und Governance, kurz ESG, in ihre Firmenkundenkreditprozesse einfließen. Die Betrachtung entsprechender Faktoren wurde für die Institute spätestens mit der 7. Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) regulatorisch relevant. Diese fordert die Einbeziehung von ESG-Aspekten bei Kreditvergabe und Überwachung. „Die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit ist riesig, die Verpflichtung der Finanzindustrie zur Betrachtung der ESG-Risiken daher nur konsequent. Und obwohl inzwischen nahezu alle Kreditinstitute aktiv geworden sind, bleibt noch viel zu tun“, sagt Thomas Paulat, Manager bei PPI und einer der Mitautoren der Studie.

Die Methodik ist in Arbeit

Wie lassen sich ESG-Risiken bei Kreditanfragen realistisch bewerten, woher stammen die notwendigen Daten und welche konkreten Auswirkungen hat das Ergebnis? Auf diese entscheidenden Fragen gibt es vonseiten der Institute noch keine einheitliche Antwort. So überwiegen bei den Bewertungsmethoden derzeit noch Negativlisten für bestimmte Branchen oder Geschäftsmodelle, auch qualitative Komponenten wie Geschäftsmodellanalysen werden häufiger verwendet. Quantitative Analysen in Form von Scorings oder Szenariomodellen kommen deutlich seltener zum Einsatz. Die notwendigen Informationen fragen drei Viertel der Institute beim Kreditnehmer selbst ab, viele werten zudem öffentlich zugängliche Informationen aus. In die Kreditentscheidung fließt das Bewertungsergebnis in zwei Dritteln aller Fälle in Form einer inhaltlichen Würdigung ein. Bei 19 Prozent der befragten Banken und Sparkassen geht die Klassifizierung mit einem Gewicht in die Bestimmung des Ratings, als Element einer Scorecard, ein. „Die Unterschiede zwischen den verwendeten Methoden zur Risikobewertung und
-einbeziehung zeigen, dass die Finanzindustrie hier in einer Art Findungsphase ist“, sagt Thomas Paulat. „Jeder interpretiert die aufsichtlichen Vorgaben etwas anders, zudem ist die Datenlage – noch – dünn. Hier ist definitiv einiges zu tun.“

Unklare Anforderungen

Zur unterschiedlichen Umsetzung trägt die Kommunikation der aufsichtlichen Erwartungen sicherlich bei. Mehr als die Hälfte der Institute hält diese für unverständlich und nicht ausreichend. In jedem Fall erzeugt die Einbeziehung der ESG-Risiken in die Kreditbearbeitung einen Mehraufwand. Knapp die Hälfte der Banken und Sparkassen gibt eine Erhöhung des Zeitaufwands von über fünf Prozent an. Dieser Anteil kann weiter wachsen, denn mehr als ein Drittel der Studienteilnehmer kann hierzu noch keine gesicherten Angaben liefern. Zweifel an der ökonomischen Angemessenheit wären daher verständlich, bestehen aber nicht überall: jeweils knapp 40 Prozent stufen diese als „eher zu hoch“ oder als „angemessen“ ein. „Die Institute sind sich ihrer gesellschaftlichen Mitverantwortung sehr wohl bewusst und wollen diese auch wahrnehmen. Dass das nicht umsonst funktioniert, ist allen klar. Und am Ende stehen vielleicht neue Geschäftsfelder, die entstandene Kosten wieder hereinholen“, erklärt Thomas Paulat.

Die ganze Studie „Berücksichtigung von ESG-Kriterien im Kreditprozess für Firmenkunden“ kann hier angefordert werden: www.ppi.de/studie-kreditprozess