Was hinter dem Revival der Rüstungsaktien im ESG-Boom steckt

Nachhaltigkeit meets Landesverteidigung – seit am 24. Februar 2022 die Invasion russischer Truppen in die Ukraine begann, rückt nicht nur ein zerstrittenes Europa zusammen. Auch der vermeintlich „hirntoten“ NATO wird Leben eingehaucht. Ein neues Sicherheitsdenken macht sich breit, was sich unter anderem ganz konkret auch in Milliardenausgaben für das Militär äußert.

Laut dem Stockholmer SIPRI-Institut erreichten diese Investitionen 2022 einen neuen Höchstwert. Kein Wunder, dass die Aktienkurse großer Rüstungsfirmen parallel dazu nach oben klettern, obwohl sie bei vielen Investoren als Tabu galten oder aufgrund wertbasierter Kriterien aus ESG-Fonds ausgeschlossen waren. Letzteres soll sich nun ändern. So wünscht es sich zumindest die Rüstungsindustrie. Verbände wie der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) appellieren an die EU, Waffen als ESG-Assets zu listen und sie als positiven Beitrag zu sozialer Nachhaltigkeit im Rahmen der Taxonomie anzuerkennen. Können angesichts der verstärkten Konzentration auf Verteidigung die ESG-Exklusionskriterien von Investoren aufrechterhalten werden? Gehören sie überhaupt zu einer ESG-Investmentstrategie? Muss die Grundlage, auf der ESG-Kriterien aufgebaut sind, komplett überdacht werden?

Mehr als Buchstabensalat?

Prinzipiell entscheiden Investoren je nach Engagement, Interesse und Möglichkeiten, wie sie mit nichtfinanziellen Kriterien umgehen. Dem trägt die EU mit Artikel 6 der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) Rechnung. Gemäß dieser Offenlegungsverordnung müssen zwar alle Fonds aufdecken, ob und wie sie Nachhaltigkeitsrisiken im Investmentprozess berücksichtigen, nach Artikel 6 klassifizierte Finanzprodukte beachten Sustainability jedoch nicht oder in nur geringem Umfang. Bei Exklusionskriterien handelt es sich hingegen um eine Liste von Themen, die viele Investoren zum Beispiel aus moralischen Gründen ablehnen. Ein solches Vorgehen hat jedoch noch nicht viel mit ESG zu tun. Denn eigentlich haben Kapitalanlegende, die sich nicht mit den E-, S- und G-Kennzahlen befasst haben, oft schon eine Entscheidung gegen die Geldanlage getroffen. Und selbst ein ESG-Rating ist auf dem Investitionsspektrum nur bedingt mit Nachhaltigkeit gleichzusetzen. Bei ESG geht es im Endeffekt um eine Risikobewertung nichtfinanzieller Kriterien, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist. Eine solche Beurteilung hat nur bedingt mit ökologischer oder gesellschaftlicher Nachhaltigkeit zu tun, denn nur wenn sich aus Faktoren wie Umweltverschmutzung oder einer intransparenten Lieferkette finanzielle Risiken ergeben, fällt ein ESG-Rating schlecht aus. Dieser Ansatz hat sich allerdings gewandelt. Mittlerweile hat sich auch eine stärker Output-getriebene Sichtweise oder sogar Impact Investing etabliert, wobei beide Herangehensweisen in unterschiedlichem Maße stärker auf eine aktive Steuerung und Messung der Auswirkungen von Unternehmensaktivitäten abzielen.

Passiv war gestern?

Anstatt sich ausschließlich auf einzelne (Exklusions-)Kriterien zu konzentrieren, sind beim Active-Ownership-Ansatz die Investoren selbst gefordert. Um auf Gesichtspunkte hinzuweisen, die bei Nachhaltigkeitsthemen wichtig sind, treten sie verstärkt in den direkten Dialog mit dem Management. So machte etwa bei der diesjährigen Hauptversammlung von Rheinmetall der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre in ihrem Gegenantrag darauf aufmerksam, dass das Unternehmen die Aufrüstung in zahlreichen Konflikt- und Krisenregionen vorantreibe und seiner Verantwortung, wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen, nicht hinreichend nachkomme. Damit nutzen sie als aktive Eigentümer ihre Stimme, um nachhaltigkeitsbezogene Verantwortung einzufordern und als treibende Kraft die Entwicklung des Unternehmens zu beeinflussen. Damit können Investoren letztendlich auch versuchen, Einfluss auf das Produktportfolio von Rüstungsunternehmen zu nehmen, um zu verhindern, dass zum Beispiel Streubomben oder AI-getriebene Waffensysteme gebaut werden. Sinnstiftendes Investieren ist keine Entweder-oder-Entscheidung, sondern immer auch kontextbezogen. Verwehrt eine Bank einem Rüstungsunternehmen den gewünschten Kredit für den Bau von Waffen, verlieren gegebenenfalls 1.000 Menschen in einer strukturschwachen Region ihre Beschäftigung.

Schließlich spielt die deutsche Rüstungsindustrie insgesamt eine wichtige Rolle für die Volkswirtschaft. Weltweit zählt die BRD sogar zu den Top-Exporteuren in Sachen Rüstungsgüter. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute verzeichnen nur Länder wie China, Frankreich, Russland und die USA ein größeres Exportvolumen. Damit Investoren bessere Entscheidungen treffen und Partner im Sinne einer Lösungsfindung werden können, müssen sie allerdings einen Überblick über das operative Verhalten von Unternehmen haben und somit auch verstehen, in welchem Umfang – wenn überhaupt – Einfluss genommen werden kann. Am einfachsten gelingt dies durch ein transparentes Reporting, das auf nachprüfbaren Kriterien und Standards fußt sowie auditierbar ist. Zwar existiert hier aktuell noch keine einheitlich anerkannte Form der Berichterstattung, es gibt jedoch etablierte Frameworks, anhand derer sich Nachhaltigkeitsberichte strukturieren lassen. Welche für eine Organisation besonders relevant sind und in welchem Umfang sie Anwendung finden, muss allerdings individuell geprüft werden. Hier helfen neben intelligenten Analysewerkzeugen auch spezialisierte Dienstleister, die Unternehmen von der Datenerfassung über die Auswertung bis hin zu Reporting, Zertifizierung und Umsetzung begleiten.