Finanzströme und Menschenwürde: Wie gelingt der Spagat?
Wir brauchen neue Impulse für den Spagat zwischen globalen Finanzströmen und menschenwürdiger Globalisierung. Dazu müssen wir den Zusammenhang ökonomischer, ökologischer, sozialer und ethischer Entwicklung verstehen und engpassorientiert arbeiten („De-Bottlenecking“). Hier kann der Index inklusiver Entwicklung zu einer effektiven Verbindung von Finanzwirtschaft und sozial zuträglicher Entwicklung beitragen, bis hin zu einem globalen Öko-Sozial-Fonds zur Milderung der Folgen der Klimakrise nach einem ganzheitlichen Konzept.
Was ist Globalisierung?
Finanzströme lenken die globale Welt, aber was genau ist Globalisierung? Der Begriff „Globalisierung“ ist erst seit den 80er Jahren gebräuchlich, ausgelöst u.a. durch einen Artikel von Theodore Levitt im Harvard Business Manager (61, 1983, Nr.3). Er bezieht sich allerdings auf fünf unterschiedliche Realitäten:
- Das Wachstum des Welthandels (welches normalerweise größer ist als das Wachstum des Welt-Bruttosozialprodukts).
- Die Summe ausländischer Direktinvestitionen in einem Land (weil diese als Maß für „Standortattraktivität“ gilt).
- Die internationale Verflechtung der Wirtschaft, gemessen am Umsatz von internationalen Konzernen („Global Players“)
- Die Globalisierung der Finanzmärkte, verstanden als Summe grenzüberschreitender Finanztransaktionen.
- Die Globalisierung von Kommunikation und Information durch die digitale Transformation.
Hinzufügen könnten wir noch die Globalisierung von Werten und Normen, wie sich durch internationale Spielregeln transportiert wird, aber auch durch Migration geprägt wird, weil Menschen ihre Werte in andere Länder ja mitnehmen.
Die bisherige Form der Globalisierung hat zwar Wohlstand geschaffen, aber weder Hunger noch Armut, weder Kriege noch die Klimakrise beseitigt. Daher wird Globalisierung auch scharf kritisiert, von links und von rechts. Globalisierung wird dann vor allem als Gerechtigkeitsproblem aufgefasst und bisweilen sogar abgelehnt („Re-Regionalisierung“).
Ein Index inklusiver Entwicklung für eine menschenwürdige Globalisierung
Wenn wir in der heutigen Welt ökonomische, ökologische, soziale und ethische Maßstäbe miteinander verbinden wollen, brauchen wir einen Weg zu einer „inklusiven Entwicklung“. In Zusammenarbeit mit einem Think Tank mit Personen aus Peru, Kolumbien, Mexiko, aber auch Europa, Afrika und Zentralasien entstand dabei ein „Index inklusiver Entwicklung“.
Es ist ein Meta-Index, der sich auf vorhandene Indices stützt, so u.a. auf das Bruttosozialprodukt und die Staatsverschuldung für die ökonomische, den CO²-Ausstoß und die Biodiversität für die ökologische, den Human Development Index der UN sowie den Gini-Index sozialer Ungleichheit für die soziale und den Korruptionswahrnehmungsindex sowie den Index gesellschaftlichen Vertrauens für die ethische Dimension.
Aus dem Ranking der Länder entstehen Länderprofile. Dabei wird klar, dass die Prioritäten oft dort liegen, wo die größte Herausforderung liegt. Denn ökologische Maßnahmen verpuffen, wenn in einem Land zum Beispiel die wahrgenommene Korruption sehr hoch ist.
Hilfreich ist hier ein engpassorientierter Ansatz („De-Bottlenecking“), der dem „Gesetz des Minimums“ aus der Landwirtschaft (Justus von Liebig) folgt. Dort heißt es: Jede Pflanze braucht Wasser, Licht, Kalium, Phosphor und Stickstoff. Wer seine Pflanze nie gießt, kann das nicht durch „mehr Licht“ ausgleichen. Auf Länder bezogen heißt das: Wir müssen lernen, die Engpässe zu überwinden, wenn wir mit ökologischen Maßnahmen Erfolg haben wollen.
Ökologische Maßnahmen ohne soziale Gerechtigkeit führen in die Irre
Dazu kommt ein Ursache-Wirkungs-Paradox: Nur drei Länder (USA, China, Indien) verursachen 53 Prozent der weltweiten CO²-Emissionen. Weitere 25 Länder (zu denen auch Deutschland gehört) stehen für weitere 30 Prozent der Emissionen.
Weltregionen wie Afrika und Südamerika leiden zwar unter dem Klimawandel, verursachen ihn aber nicht. Wenn wir Fairness üben und in keinem Land weniger als 3000 USD pro Jahr als Durchschnittseinkommen haben wollen, dann verursacht dies zusätzliche Emissionen in der Größenordnung der USA. Denn die Zusatzbelastung in Tonnen CO² nimmt bei höheren Einkommen ab, auch wenn sie nicht auf null geht.
Konkret heißt das: ökologische Maßnahmen ohne soziale Gerechtigkeit führen in die Irre, weil sie keinen Rückhalt in der Bevölkerung finden. Umgekehrt muss das zusätzliche CO² bei der Armutsbekämpfung kompensiert werden. Die Folge daraus für reichere Länder lautet: Klimaneutralität reicht nicht aus.
Eine globale Politik für globale Finanzströme: ein globaler Öko-Sozial-Fonds
Globale Finanzströme erfordern also eine globale Politik. Dazu gehört die globale Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen in Höhe von zumindest 15 Prozent. Dazu gehört der Einsatz für Quality Education als dem Nachhaltigkeitsziel 4 der UN („SDG 4“), konkret für „Financial Literacy“. Dazu kann auch eine Erweiterung der seit 1972 diskutierten Idee einer Tobin-Steuer auf Finanztransaktionen gehören. Hier geht es um eine minimale Umsatzsteuer auf Finanzmarkttransaktionen in Höhe von 0,1 Prozent auf Aktien und 0,01 Prozent auf Derivate.
Diese Steuer könnte einem globalen Öko-Sozial-Fonds zufließen. Darüber hinaus sollten diejenigen Länder, die mehr als 6 t CO² pro Kopf ausstoßen, in den Fonds einzahlen. Diejenigen, die pro Kopf weniger als 3 t CO² pro Jahr verbrauchen, könnten für Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels Gelder erhalten. In Gruppendiskussionen wurde ergänzend eine „Steuergutschrift“ vorgeschlagen, wenn ein Land besonders viel in Forschung und Entwicklung investiert oder eine besonders gute Umsetzung auf dem Gebiet erneuerbarer Energien zeigt.
Hilfreich ist ein solcher Ansatz in zweierlei Hinsicht: Er überwindet die stets mühsame Suche nach historisch Schuldigen rund um den Klimawandel. Und er verbindet ökologische und soziale Maßnahmen zum Nutzen aller Beteiligten.
Daraus ergeben sich auch Chancen für die Finanzwirtschaft. Denn der private Sektor wird als Treiber ganzheitlicher Entwicklung unterschätzt. Er geht immer einher mit Investitionen in Humankapital. Und er wird idealerweise engpassorientiert vorgehen. Wenn Kredite mit der Maßgabe vergeben werden, dass bestimmte soziale und ökologische Indikatoren Teil der Covenants und der KPI werden, dann gewinnen ESG-Investments eine neue Qualität. Dafür brauchen wir soziale Innovation und die Kopplung wirtschaftlicher und sozialer Ziele im Alltag der internationalen Finanzwirtschaft! Und dann kann auch der Spagat zwischen globalen Finanzströmen und Menschenwürde gelingen.