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ESG-Beratung als technologische Herausforderung

Nachhaltige Anlagen, die den Anforderungen in den Bereichen Environmental, Social und Governance (ESG) entsprechen, sind auf dem Vormarsch. Schon aus regulatorischen Gründen. So wird am 2. August 2022 die Neufassung für die Delegierte Verordnung 2017/565 zur Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie MiFID II in Kraft treten.

Diese Ergänzung von MiFID II verlangt von Finanzinstituten, bei der Beratung ihrer Kunden deren Nachhaltigkeitspräferenzen zu eruieren. Die Nachhaltigkeitsvorlieben zu ermitteln, wird für Berater zum zwingenden Bestandteil der allgemeinen Geeignetheitsprüfung ihrer Kunden. Die Regulatorik ist aber nur ein Treiber für das Thema ESG, der andere ist das wachsende Interesse der Anleger selbst. Banken und Vermögensverwalter sind gut beraten, die technologischen Voraussetzungen zu schaffen, um nicht nur ihren regulatorischen Pflichten, sondern auch den wachsenden ESG-Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht zu werden.

In der Vermögensverwaltung ging es bei Portfoliobesprechungen bisher primär um Allokation, Performance und Risiko. Untersuchungen zeigen immer wieder, dass lediglich eine Minderheit der Anlageberater mit ihren Kunden pro-aktiv über ESG-Themen redet. Die Folge: Obwohl eine große Mehrheit der Kunden prinzipiell an nachhaltigen Anlagemöglichkeiten interessiert wäre, spielt sie in Beratungsgesprächen noch eine viel zu kleine Rolle. Es würde sich also durchaus lohnen, wenn Vermögensberater in Kundengesprächen Nachhaltigkeitsthemen schon jetzt viel stärker adressieren, damit aus ESG-Themen echte Transaktionen werden. Hat der Berater mit dem Kunden zusammen dessen ESG-Ziele definiert, kann er beispielsweise einen Gesundheitscheck durchführen und das bestehende Portfolio an den definierten ESG-Zielen messen. Jeder Portfolio-Gesundheitscheck kann so ein Türöffner für neue Anlagevorschläge sein, die ein individuelles Kundenbedürfnis abdecken. Dabei ist es entscheidend, dass Banken und Vermögensverwalter die richtigen technologischen Voraussetzungen schaffen.

ESG als Digitalisierungsthema

Wenn Finanzinstitute wirklich effizient auf die ESG-Bedürfnisse von Kunden eingehen wollen, geht dies am besten mithilfe von moderner Technologie. Dafür sind zuverlässige ESG-Ratings sowie eine neue Generation von Datenverwaltungsplattformen nötig. Anders gesagt: ESG ist auch ein Digitalisierungsthema. Denn Vermögensberater müssen die komplexe ESG-Landschaft überschaubar machen und ein personalisiertes Angebot entwickeln, das den Werten der Kunden entspricht. Nachhaltigkeitsinformationen müssen für die individuellen Kunden relevant sein, damit sie fundierte Anlageentscheidungen treffen können. Abhängig von den Präferenzen und Profilen der Anleger können verschiedene ESG-Datenpunkte unterschiedliche Konsequenzen haben – je nachdem, ob es dem Anleger darum geht, sein Risiko zu managen, Alpha zu generieren oder den Impact zu steigern.

ESG-Kriterien gehören zum Kundenprofil

Zuerst muss die Beratungslösung, die die Arbeit des Kundenbetreuers unterstützt, in der Lage sein, die ESG-Präferenzen der Klienten zu erfassen und sie in die Kundenprofile zu integrieren. Kunden sollten ihren gewünschten ESG-Mindestwert schnell und intuitiv angeben können, ggf. auf einer Skala von 1 bis 10. Aber auch noch weit granularere Präferenzeinstellungen sind denkbar, etwa Mindeststufen für ökologische, soziale und staatliche Kriterien, die jeweils auf noch detailliertere Faktoren heruntergebrochen werden. Im Bereich Umwelt könnten das zum Beispiel Emissionen, Ressourcenverbrauch oder Innovationen sein. Die ESG-Präferenzen eines Kunden lassen sich zudem als harte oder weiche Auflagen definieren und in der weiteren Investment Journey entsprechend behandeln. So wird sich das ESG-Profil eines Kunden letztlich ähnlich auf zukünftige Anlagevorschläge auswirken wie sein Risikoprofil.

Einheitliche Bewertungsstandards lassen noch auf sich warten

Wenn ESG-Anlagen derzeit ihr Potenzial noch nicht ausschöpfen, hängt dies auch mit fehlenden Ratingstandards zusammen. Das European ESG Template (EET) beispielsweise ist ein Projekt der FinDatEx, das zumindest die ESG-Angaben auf Anbieterseite vereinheitlicht, aber die European Securities and Markets Authority (ESMA) untersucht derzeit noch die Marktstruktur bei ESG-Rating-Providern in der EU. Weil ESG-relevante Daten bislang weder standardisiert noch normalisiert sind, erschwert dies Vergleiche zwischen Anlagemöglichkeiten. Das Fehlen von Standards führt dazu, dass die diversen Ratinganbieter unterschiedliche Bewertungsmethoden anwenden. Dies wiederum hat zur Folge, dass ein und dasselbe Unternehmen bei den diversen ESG-Ratinganbietern sehr unterschiedliche Bewertungen erhalten kann. Eben weil es noch keine „Single Point of Truth”-Plattform für ESG-Ratings gibt, gilt es, den Zugang zu den verfügbaren ESG-Daten zu optimieren. Aus Sicht der Vermögensberatung ist es wichtig, externe ESG-Daten vollständig in die Beratungssysteme zu integrieren, sodass die Relationship Manager oder auch ihre Kunden nahtlos darauf zugreifen können. Denn all diese Informationen liefern eine Basis für fundierte ESG-Anlageentscheidungen.

KI und ML unterstützen die ESG-Bewertung

Es gibt bereits ausgefeilte ESG-Investmentlösungen für Banken und Vermögensverwalter, die Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) dazu einsetzen, ESG-Daten zu analysieren und aussagekräftig zu machen. Mit solch einer ESG-Lösung können Berater maßgeschneiderte, personalisierte und ESG-konforme Portfolios für ihre Kunden zusammenstellen. Auch das Natural Language Processing (NLP) ist eine wesentliche Technologie, um ESG-Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zu erfassen. Zumal sich KI darauf trainieren lässt, die entscheidenden ESG-Kennzahlen eines Unternehmens zu identifizieren. Während viele ESG-Daten heute noch manuell aus Unternehmensberichten in Datenblätter übertragen werden, schaffen maschinelles Lernen und das Verarbeiten natürlicher Sprache die Basis für eine automatisierte Identifizierung – und Personalisierung – der ESG-relevanten Informationen. Zumal eine Avaloq Studie zeigt, dass wohlhabende Anleger, die bereits mit einem Vermögensberater arbeiten, es durchaus begrüßen, wenn dessen Beratungstätigkeit durch KI-Technologie unterstützt wird.

Neue Technologien für neue Kundenbedürfnisse

Sich jetzt mit ESG zu beschäftigen, ist für Finanzinstitute unverzichtbar. Denn in einigen Jahren dürfte sich die Wettbewerbsfähigkeit von Vermögensberatern auch daran bemessen, wie transparent, verifiziert und ausgefeilt ihr ESG-Angebot ist. Kunden werden eine Beratung erwarten, die über die bloßen regulatorischen Pflichten hinausgeht. Auch die erwähnte Umfrage von Avaloq zeigt, dass es für 43 Prozent der Anleger ein Grund sein kann, den Vermögensberater zu wechseln, wenn dieser sich nicht an die sich verändernden Bedürfnisse seines Klienten anpasst. Allein bezogen auf die deutschen Befragten gab sogar etwas mehr als die Hälfte an, bereits aktiv ESG-Anlagemöglichkeiten zu nutzen. Wollen Berater allerdings in Sachen ESG-Investments kompetent unterstützen, benötigen sie wegen der Komplexität des Themas dafür selbst automatisierte Unterstützung – unter Rückgriff auf unterschiedlichste Datenquellen und modernste KI- und NLP-Lösungen. Zum einen muss die Beratungsplattform die ESG-Daten zu jedem Investment analysieren und zu handhabbaren ESG-Kriterien verdichten. Zum anderen muss die Beratungslösung die individuellen ESG-Präferenzen zu jedem Kunden erfassen, dessen Portfolio analysieren und dem Berater auf dieser Grundlage personalisierte Anlageempfehlungen für seinen Kunden vorschlagen. Für Finanzinstitute ist ESG darum nicht nur eine regulatorische, sondern auch eine technologische Herausforderung.