Selina Haupt

„Nahbarkeit und Empathie sind Kernpunkte in Kommunikation und im Produkt“

Selina Haupt hat bei einem Netzwerk-Event auf die Frage, für was man sie nachts wecken dürfe, mal gesagt: Statistiken zu Female Finance. Die besondere Beziehung von Frauen und Finanzen sind ihr Herzensthema, früher als Produktentwicklerin für den Sparkassen Innovation Hub, heute als Gründerin ihres eigenen Fintech-Start-ups moneten. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wieso es wichtig ist, den Fokus in der Finanzbranche mehr auf Frauen als Zielgruppe zu legen und wie leicht ein erstes Umdenken für traditionelle Banken sein kann.

Zebra: Selina, du sprichst oft über Women Centric Design – was ist das?

Selina Haupt: Der Ansatz bedeutet, dass man beim Produktdesign Frauen als Zielgruppe viel stärker in den Mittelpunkt stellt und ganz intensiv auf ihre Pains, Bedürfnisse und Lebensrealitäten eingeht – und nicht alles pink anmalt, sondern gender-intelligent designt. Dazu gehört, auch die Verhaltensforschung mit einzubeziehen. Auf der Grundlage geht man dann in den Design Thinking Prozess über und überlegt, wie man das Produkt eigentlich gestalten kann oder sollte. Natürlich gibt es auch nutzerzentriertes Design, aber da ist der Fokus nicht so klar, beziehungsweise war – oder ist teilweise noch – sehr männlich. Wir müssen uns vor einem Designprozess aber klar machen: Wen interviewe ich eigentlich? Auf wen gehe ich ein und wie setze ich eigentlich die Bedürfnisse auch in den Kontext?

Warum ist das wichtig?

Weil es nach wie vor einfach sehr viele Gender Gaps gibt. Die sind historisch und sozial gewachsen, können aber mit women-centered Design gelöst werden, weil wir damit Produkte und Angebote verbessern. Beispiel: Das fängt schon an mit Smartphones, die lange Zeit viel zu groß für Frauenhände waren, oder Sitzgurte, die bis vor ein paar Jahren nur an männlichen Dummys getestet wurden, was die Verletzungsgefahr und Sterbensrate bei Frauen bei Unfällen deutlich erhöht hat. Im Women Centric Design machen wir uns darüber Gedanken, welche Unterschiede es zwischen den Geschlechtern gibt. Die einbeziehen, bedeutet eigentlich nur, Produkte insgesamt inklusiver zu machen, nicht dass wir jetzt ganz exklusiv für jemanden designen. Wir schauen einfach, wo die Bedürfnisse sind und denken das dann im Design mit – und davon profitieren letztendlich alle.

Was heißt das auf Finanzen übertragen?

Den Zugang zu Finanzen für Frauen zu erleichtern. Zum Beispiel, ohne gleich in Produkten zu denken, schon einen Schritt vorher die Herangehensweise “Wie wähle ich ein Produkt oder einen Service aus?” in der Beratung zu berücksichtigen. Frauen ist kulturell anerzogen worden, dass sie ein geringeres Selbstbewusstsein haben. Das lässt sich auch statistisch nachweisen. Das muss gar nicht damit einhergehen, dass sie wirklich weniger wissen, aber sie sind dadurch unsicherer oder wollen Dinge genauer verstehen, fragen viel mehr nach, was von männlichen Beratern oft als Unsicherheit oder Risikoaversität gesehen wird, wodurch Frauen dann meist andere, sicherere Produkte angeboten bzw. verkauft werden, die aber ganz oft auch teurer sind. Das heißt, die Beratungsleistung ist schon eine ganz andere.

Wir reden also bei Women Centric Design nicht nur über zum Beispiel Finanzprodukte, sondern das lässt sich runterbrechen bis zur klassischen Beratung in einer Filiale.

Genau. Also du kannst es auf ganz klassische physische Produkte wie den Anschnallgurt anwenden, oder zum Beispiel auf eine Finanz-App. Aber Women Centric Design gilt darüber hinaus auch für den Service und die Kommunikation. Das kann eine Finanzberatung sein, oder noch banaler die Beispiele, die man wählt, um Informationen zu vermitteln. Von daher kann man schon auch Abstufungen sehen und man müsste halt immer gucken, in welchem Kontext mache ich eigentlich gerade das Angebot und wie kann ich da eben entsprechend Bedürfnisse herausstellen?

Wie war bei dir die Genese? Also, wie bist du zu deinen Erkenntnissen, zu deiner Beschäftigung mit dem Thema gekommen?

Tatsächlich durch meinen alten Job, in dem ich das Projekt bekommen habe und es auf Anhieb super spannend fand, aber gleichzeitig auch irgendwie dachte: Hey, da gibt es doch gar keinen Unterschied. Aber wenn man dann wirklich mit den Kundinnen spricht, erfährt man, wie unterschiedlich ihre Erfahrungen und Lebensbedingungen sind. Und finanzielle Gender Gaps finden sich nicht nur in Vermögensunterschieden wie zum Beispiel der Wealth Gap, sondern auch mit Blick auf Produkte wieder. Beispiel Kredite: Geschlecht ist nach wie vor ein Risikofaktor in vielen Scorings, weil wir jederzeit schwanger werden könnten. Nicht die Frau, sondern der Mann ist oft Kreditnehmer, weil das Antragsformular der Bank das so vorsieht. Beispiel Baufinanzierung: Häufig, wenn ich so eine brauche, weil ich eine Familie plane oder habe, bin ich vielleicht in Mutterschutz, Elternzeit oder arbeite nur in Teilzeit, meine Scoring verschlechtert sich – bankseitig verständlich, aber super unpassend zur Lebensrealität. Beispiel Vorsorgen/Investieren: Frauen haben mehr Lebensumbrüche als Männer. Bei Anlageprodukten oder langfristigen Sparplänen wird Flexibilität aber immer noch nicht mitgedacht oder kommuniziert, obwohl es so wichtig wäre.

moneten LogoSeit deiner ersten Beschäftigung mit dem Thema bis heute hat sich ein bisschen was geändert: Jetzt hast du ein eigenes Female-Finance-Start-up, moneten, das den Nutzer:innen einen Überblick über die Finanzen und einen anderen Zugang zu Finanzbildung geben will. Ihr richtet euch nicht als Produkt für Frauen aus, verfolgt aber einen „Women Centric“-Ansatz. Was bedeutet das konkret?

Kurz vorweg: Warum machen wir nicht eine reine App nur für Frauen – auch wenn wir Gender Gaps ansprechen und uns für Female Empowerment einsetzen? Das beste Zitat hierzu kommt für mich von der CEO von Women’s World Banking und lautet, dass Produkte, die für Frauen konzipiert sind, genauso gut für Männer sind und die Produktleistung für alle besser wird. Andersrum funktioniert es nicht. Das ist unser Ansatz: Wir sind inklusiver und irgendwie für alle da. In unserer Arbeit bedeutet Women Centric Design für uns, dass wir viel Datenanalyse betrieben und stark in die Forschung geschaut haben.. Unsere Produktdesignerin hat am Anfang gesagt: Die Evidenz ist eigentlich schon da, aber warum kriegen wir das bislang nicht umgesetzt? Unsere große Frage: wie übersetzen wir die Evidenz eigentlich in eine Kundinnen-Journey? Dafür arbeiten wir ganz oft mit Tiefeninterviews. Dadurch erfahren wir viel mehr von dem Leben und Bedürfnissen der Personen. Dann probieren wir aus, wie sich die Erkenntnisse in Form eines Features übertragen lassen und testen das ganz iterativ.

Das ist quasi das Backend. Wie sieht denn eine Vermarktung in einem Women-centric-Ansatz aus?

Ein Problem, das immer noch die ganze Finanzbranche hat: Wir denken zu sehr in einzelnen Produkten. Wir haben das Investmentprodukt, wir haben das Kreditprodukt, vielleicht noch Finanzwissen als ein Produkt, aber wir denken zu wenig in dem ganzen Prozess der Kundinnenreise. Dabei sind für so viele Menschen, vor allem für Frauen, Finanzen das Mittel, um das Leben zu gestalten. Das müssen wir viel mehr einbringen, was wir bei moneten versuchen. Genau das greifen wir in der Kommunikation auf. Wir versuchen, nahbarer zu sein, weil das am Markt einfach fehlt. Klar sind Aufklärung, Kompetenz und Expertise wichtig, aber am Ende geht es bei Frauen viel stärker darum, Empathie für die Lebenssituation zu vermitteln, Vertrauen zu vermitteln und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Wollen wir nicht alle, dass, egal welches Produkt wir nutzen, wir das Gefühl haben, der Anbieter versteht uns und unser Problem, das mit dem Produkt gelöst werden soll? Von vielen Frauen haben wir in Gesprächen gehört, dass sie Angst haben, in ein Beratungsgespräch zu gehen, weil es von oben herab ist. Von daher sind Nahbarkeit und Empathie Kernpunkte in der Kommunikation – aber auch im Produkt. Letzteres ist schwer, richtig zu vermitteln, weil es so ein softer Faktor ist, der noch nicht als Feature gesehen wird, weil es einfach so neu ist.

Was sind denn deine Top-Empfehlungen in Sachen Women Centric Design und Female Finance, die nicht schwer umzusetzen wären für klassische Finanzinstitute?

Also das allereinfachste ist die Bilderauswahl in der Kommunikation. Wenn man bei großen klassischen Bankhäusern mal auf die Website geht und sich die ausgewählten Bildmaterialien anguckt, sieht man, was ich meine. Ich habe auch ein ganz konkretes Beispiel im Kopf: Da sieht man auf der Website zum Thema Investieren einen älteren Mann, der eine Zeitung in der Hand hält. Er trägt, glaube ich, einen Anzug und liest den Börsenteil – und auf der anderen Seite der Zeitung sind zwei Frauen mit Shoppingtüten abgebildet. So zieht es sich die ganze Zeit durch und selbst der Part, wo es um Vorsorge geht, zeigt einen einen Mann, der das Baby hält und nicht mal, wo du klischeehaft das Bild einer Frau erwarten würdest, ist eine zu sehen. Punkt eins ist also die Bildsprache, mit der sich als unterschwellige Kommunikation eigentlich ein gutes Gefühl vermitteln lässt , dass man da richtig aufgehoben ist als Frau. Zweitens: Verständnis zeigen – für verschiedene Lebenssituationen oder Bedürfnisse. Zum Beispiel durch Wissens- oder Blogbeiträge. Es gibt eine australische Bank, die einen Online-Guide anbietet, wo man sich immer je Lebensphase durchklicken kann und Informationen bekommt. Allein diese Struktur der Informationsvermittlung kann super hilfreich sein. Das heißt, man muss noch nicht das ganze Produktsortiment neu konzipiert haben. Und klar, beim Punkt Verständnis, ist es schwer, Berater zu sensibilisieren. Aber in der Anfangskommunikation – wie trete ich eigentlich mit diesem Finanzinstitut in Kontakt? – gilt es, zumindest das zu überarbeiten und sich da der Herausforderungen bewusst zu sein. Vielleicht auch ein offenes Feedback-Feld à la „Hey, ist dir irgendwas aufgefallen, was dich stört?“ Das kann halt schon voll viel bringen.

Super, danke für die Einblicke, Selina!

Das Interview führte Caro Beese.

Autor

  • Caro Beese

    Caro Beese arbeitet als freie Journalistin zu den Themen Digital Banking, Sustainable Finance und Female Finance. Sie bringt 20 Jahre Erfahrung in Journalismus, Kommunikation und Veranstaltungsmanagement mit. Bis 2023 führte Caro gemeinsam mit Clas Beese die finletter und Fintech Week GmbH. Aus dem Unternehmen entstanden auch die Female Fintech Friends, ein nach wie vor aktives Netzwerk für Frauen in der Finanzbranche.

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