Nachhaltigkeit bei Versicherungen: Zum aktiven Gestalter werden

Nachhaltigkeit ist zum omnipräsenten Thema geworden. Sich nicht nachhaltig zu verhalten oder gar in den Verdacht zu geraten, Greenwashing zu betreiben, stellt für Unternehmen ein ernsthaftes Reputationsrisiko dar. Das betrifft auch die Versicherungswirtschaft.

Sie ist ein gutes Beispiel dafür, welche Wirkung die EU-Kommission bereits erzielt hat, Finanzströme in Richtung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten zu lenken. Anlageentscheidungen, Versicherungskapazitäten und Kreditvergaben werden zunehmend unter ESG-Vorbehalte gestellt.

Erstaunlich ist, dass das neben dem öffentlichen Druck im Wesentlichen (nur) auf Informations- und Transparenzanforderungen zurückzuführen ist. Darauf basieren nämlich die bisherigen regulatorischen Vorgaben aus Brüssel. Verbote, einzelne Wirtschaftsaktivitäten unter ESG-Aspekten durchzuführen, wurden hingegen nicht erlassen.

Dass Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit aus Sicht der Privatkunden Not tut, zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage vom Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Dortmund. Demnach ist das Thema Nachhaltigkeit für 70 Prozent persönlich wichtig. Aber acht von zehn Befragten bringen das Thema zumeist mit ökologischen und klimatischen Zielen in Verbindung, kaum dagegen mit Geldanlagen und Versicherungen. Hier dominiert vor allem die Preisorientierung, was durch die allgemein hohe Preissteigerung gegenwärtig noch gefördert wird. Das Thema Nachhaltigkeit scheinen eher wenige Verbraucher mit Versicherungen in Einklang zu bringen. Bisher haben nur sieben Prozent der Befragten Werbung und sechs Prozent Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Versicherungen wahrgenommen.

Problem: Gewerbe- und Industriekunden

Gewerbe- und Industriekunden haben da bereits einen anderen Blick auf das Thema. Das betrifft unter anderem die Zeichnung von Risiken, wovon dann unmittelbar versicherungssuchende Unternehmen aus vermeintlich nicht ESG-konformen Branchen, wie beispielsweise Energieversorger oder energieintensive Wirtschaftszweige, betroffen sind. Die Diskussion unter den Versicherern geht zum Teil so weit, ob man den Beschäftigten dieser Betriebe noch eine betriebliche Altersvorsorge anbieten kann. Einzelne Marktteilnehmer stellen für sich sogar schon die Kfz-Versicherung oder die Absicherung landwirtschaftlicher Risiken auf den Nachhaltigkeitsprüfstand.

Versicherer sind dabei mit ihrem Geschäftsmodell in der ESG-Bewertung in einer besonderen Situation. Auf der Aktivseite nehmen sie dadurch, dass sie Versicherungsschutz gewähren, signifikant Einfluss darauf, ob Geschäftsaktivitäten unter Risikoaspekten überhaupt betrieben werden können. Dies betrifft vor allem solche, die ökologische, soziale oder auch Governance-Kontroversen beinhalten. Beispielsweise müssten sich Gesellschaften, die ein Kohlekraftwerk versichern, diesen Versicherungsschutz in ihrer ESG-Berichterstattung anrechnen lassen. Zu einer Doppelbelastung käme es dann, wenn der Versicherer über seine Kapitalanlage auch noch in das kontroverse Unternehmen investiert.

Auswirkungen auf die ESG-Bilanz der Versicherer

Den meisten Verbrauchern dürfte nicht bekannt sein, wie sich die Strategien der Risikoabsicherung und Kapitalanlage auf die ESG-Bilanz des Versicherers auswirken. Mit zunehmenden Berichtspflichten dürften diese Aspekte aber eine größere Aufmerksamkeit gewinnen und für die Versicherer ein Reputationsrisiko bergen.

Die kritische Auseinandersetzung mit Risiken unter ESG-Aspekten ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings sind die Versicherer noch auf der Suche, welche Rolle sie in diesem Veränderungsprozess spielen können und wollen. Auch hier gilt: „Der Weg ist das Ziel“. Versicherungsschutz ist für die meisten Wirtschaftsaktivitäten essenziell. Die Versicherer haben somit die Chance, im Sinne von „Fördern und Fordern“ über den Risikotransfer und natürlich auch die Kapitalanlage starken Einfluss auf die Nachhaltigkeitstransformation ihrer Kunden zu nehmen.

Versicherer sollen bis 2025 ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen

Hierzu hat der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bereits im Januar 2021 in einem Positionspapier Stellung bezogen. Demnach sollen die Versicherer bis 2025 ökologische und soziale Aspekte sowie die Anforderungen an eine gute Unternehmensführung in ihre Zeichnungsrichtlinien integrieren und den nachhaltigen Risikotransfer stärken. Noch sei ein umfassender Versicherungsschutz gegen Naturgefahren möglich, aber in einer sich ungebremst erwärmenden Welt sinke die Versicherbarkeit von Risiken drastisch, wird gewarnt. Deutlich wird damit, dass es den Versicherern im Kern auch um den Schutz des eigenen Geschäftsmodells gehen muss.

Bei den bisher praktizierten Ausschlüssen dreht es sich im Wesentlichen darum, Kohlendioxid und Aktivitäten im Zusammenhang mit Kohle, Ölsand und Öl zu reduzieren. Die Liste der klimaschädlichen Treibhausgase, wie Lachgas, Methan, Halogenkohlenwasserstoffe und verschiedene chlor- und bromhaltige Substanzen, ließe sich erweitern. Auch das Thema Erdgas bleibt meist außen vor. Die Ablehnungen betreffen zudem meist Neu- und nicht Bestandskunden, da die Umstellung bestehender Verträge Zeit erfordert.

„Nutzen statt besitzen“, „Reparatur statt Tausch“

Auf der Angebotsseite sollen nachhaltige Versicherungsprodukte ausgebaut werden. Dies betrifft unter anderem Aspekte wie „nutzen statt besitzen“, „Reparatur statt Tausch“ oder E-Mobilität. Da der nachhaltigste Schaden der ist, der gar nicht erst entsteht, rücken auch Maßnahmen der Schadenprävention als Tarifleistung verstärkt in den Blick. Materielle und finanzielle Ressourcen werden präventiv geschont und die Umwelt erst gar nicht belastet. Beispiele dafür sind die Erstattung bzw. finanzielle Belohnung einer Beratung zur Einbruchssicherung in der Hausratversicherung oder eines Fahrsicherheitstrainings in der Kfz-Versicherung. Ebenso kann der Versicherer zu Maßnahmen zur Wartung und Instandhaltung von Gebäuden motivieren. Neue Möglichkeiten eröffnen auch Smart-Home-Technologien und künstliche Intelligenz. Beispielsweise können intelligente Wasserstoppsysteme bei einem Wasserrohrbruch helfen, das Ausmaß eines Leitungswasserschadens zu vermindern. In der Betriebsunterbrechungsversicherung können Sensoren installiert werden, um auf Grundlage von deren Daten den Ausfall von Maschinen präziser voraussagen zu können.

Gemäß dem GDV-Positionspapier sollen bis 2025 auch in die Praxis der Schadenregulierung zunehmend Nachhaltigkeitskriterien eingearbeitet werden. Dabei wolle man sich verstärkt an Ansätzen wie „building better back“ orientieren.

Kapitalanlage – der zweite große Hebel der Versicherer zur Gestaltung der Nachhaltigkeit

Auch der Kapitalanlage, als zweiten großen Hebel der Versicherer zur Gestaltung der Nachhaltigkeit, kommt eine große Rolle zu. Gerade aufgrund ihrer Funktion als Kapitalsammelstelle muss die Branche nicht nur die ESG-Faktoren in den strategischen Investitionsentscheidungen berücksichtigen, um das eigene Anlageportfolio und somit das Unternehmen nachhaltig aufzustellen, sondern sie kann hierüber auch eine gesamtwirtschaftliche Lenkungsfunktion wahrnehmen. Denn je nachdem, welche Anlageoptionen die Gesellschaften wahrnehmen, sind sie in der Lage, die ökologische und soziale Entwicklung aktiv zu beeinflussen: sowohl, indem sie proaktiv Kapitalströme hin zu nachhaltigen Investments lenken, als auch, indem sie Gelder aus nicht nachhaltigen Branchen abziehen. Nach Auffassung des GDV sollen die Portfolios der Versicherer bis 2050 klimaneutral sein. „Im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Verfügbarkeit von Messmethoden“ sollen aber bereits bis 2025 und schrittweise darüber hinaus CO2-Reduktionen in den Portfolios realisiert werden.

Das Thema Nachhaltigkeit ist mittlerweile vollumfänglich in der Versicherungswirtschaft angekommen und wird die Unternehmen sicherlich noch eine Weile beschäftigen. Die überwiegende Zahl der Versicherer hat hier auch schon die Weichen gestellt. Allerdings liegt der wesentliche Fokus zumeist noch darauf, Nachhaltigkeitsrisiken zu vermeiden, das Geschäftsmodell erfordert dies. Einige Vorreiter sehen allerdings bereits heute die Chancen, die dieses Thema bietet – Stichwort gestalten statt vermeiden.