ESMA-Leitlinien zu ESG-Fondsnamen: Mehr Zersplitterung?
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat kürzlich Leitlinien (ESMA-Leitlinien) zur Verwendung von Begriffen wie „nachhaltig“ oder „sozial“ im Namen eines Fonds vorgelegt. Damit sollen sich Anleger bei der Geldanlage mit Fokus auf Kriterien wie Umwelt (E), Soziales (S) und Unternehmensführung (G) besser orientieren können.
Mit den Leitlinien möchte die ESMA sicherstellen, dass Fonds, die ein ESG-Investment durch die Verwendung bestimmter Begriffe oder Abkürzungen nahelegen, fair, eindeutig und nicht irreführend benannt sind. Die Leitlinien sollen EU-weit für eine Harmonisierung bei der Benennung von Fondsnamen sorgen.
ESMA-Leitlinien sorgen für Streß
Doch die Leitlinien stellen die betroffenen Unternehmen vor eine große Herausforderung in der Praxis der Fondsverwaltung. Insbesondere nationale Alleingänge können das Ziel, die ESG-Fondsbenennung europaweit zu vereinheitlichen, stark konterkarieren: Die ESMA-Leitlinien bieten nationalen Finanzaufsichtsbehörden die Möglichkeit, die Leitlinien eins zu eins umzusetzen. Eine Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Auch könnten nur Teile der Leitlinien umgesetzt werden. Im Endeffekt könnte jedes europäische Land die Benennung von ESG-Fonds anders handhaben. Dadurch droht eine große Zersplitterung. Nicht nur für die Fondsindustrie, sondern auch für international aufgestellte Investoren könnte dies zu einer großen Bürde werden.
Das Zeitfenster für die Umsetzung in nationale Vorgaben beträgt nur drei Monate ab dem Tag der Veröffentlichung der Leitlinien in allen offiziellen EU-Sprachen auf der ESMA-Internetseite. Darin ist allerdings eine bis zu zweimonatige Frist für Rückmeldungen der nationalen Finanzaufsichtsbehörden an die ESMA einzurechnen. Im ungünstigen Fall könnte die Fondsindustrie in Deutschland somit nur einen Monat Zeit haben, um finale Vorgaben umzusetzen.
Begriffe nicht umfassend definiert, Messbarkeit bleibt offen
Für Asset Manager bedeuten die ESMA-Leitlinien vor allem, dass sich die Verwendung eines ESG- oder nachhaltigkeitsbezogenen Begriffs in den zugrundeliegenden Investments wiederfinden muss. Führt ein Fonds einen Begriff im Namen, der ESG- oder nachhaltigkeitsbezogen ist, müssen 80 Prozent der Investitionen des Fonds auch nachhaltige Merkmale beziehungsweise Anlageziele erfüllen. Dabei geht es jedoch nicht nur um eindeutige Begriffe wie „grün“ oder „nachhaltig“ (sustainable), sondern auch um weitergefasste Begriffe wie „Impact“ oder „Transition“. Ein abschließender Begriffskatalog liegt seitens ESMA jedoch nicht vor.
Die Vorgaben der ESMA-Leitlinien lassen einigen Interpretationsspielraum für die Fondsindustrie. Es stellt sich beispielsweise die Frage, wie das Erfüllen eines ‚Impacts‘ oder einer ‚Transition‘ im Sinne eines nachhaltigen Übergangs genau gemessen und überprüft werden kann. Auch gebe es viele Grauzonen bei Fondsnamen, etwa wenn ein Fonds den Begriff „Evergreen“ im Namen führt, was bei enger Auslegung („green“) eine nachhaltige Ausrichtung nahelegen könnte, faktisch aber nur auf eine unbestimmte Laufzeit des Fonds abzielt.
Unklar ist bis dato etwa auch, ob offene Immobilienfonds ebenfalls von den ESMA-Leitlinien betroffen sind. Grundsätzlich differenzieren die Fondsnamen-Leitlinien nicht zwischen einer Anwendung auf Wertpapierfonds einerseits und Immobilienfonds andererseits. Zwar legten einige Ausführungen der ESMA nahe, dass die Leitlinien primär für Wertpapierfonds gelten würden, doch sei eine Klarstellung durch die ESMA wünschenswert, um Rechtssicherheit zu schaffen.
BaFin ist am Zuge – geringe Umsetzungsfrist für Asset Manager
Die nationalen Finanzaufsichtsbehörden haben nach der Veröffentlichung der ESMA-Leitlinien in ihrer Landessprache zwei Monate Zeit, um der ESMA gegenüber zu bekunden, ob sie die Leitlinien ganz oder gegebenenfalls nur in Teilen anwenden möchten. Aktuell steht die Veröffentlichung in den jeweiligen Landessprachen noch aus, in den nächsten Wochen dürfte damit zu rechnen sein. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat betont, dass sie nach Veröffentlichung der ESMA-Leitlinien ihre eigene Verwaltungspraxis unter Berücksichtigung der Leitlinien anpassen wird. „Es bleibt jedoch zum jetzigen Zeitpunkt offen, wie die BaFin die ESMA-Leitlinien konkret umsetzen wird.
Für Asset Manager könnte die Frist zur Umsetzung der nationalen Vorgaben sehr kurz ausfallen. Da die Leitlinien drei Monate nach ihrer Veröffentlichung in den Landessprachen Geltung haben, könnte bei Ausschöpfen der vollen Zwei-Monats-Frist für die Rückmeldung an die ESMA nur noch ein Monat Zeit für die Fondsindustrie verbleiben, um die nationalen Vorgaben umzusetzen. Je eher die BaFin aktiv wird und klare Vorgaben macht, desto mehr Zeit bleibt der Fondsindustrie.
Verringerung von Fonds mit ESG-Bezeichnung absehbar
Aktuell tragen nach Angaben der ESMA knapp 6.500 Fonds in der EU einen nachhaltigkeitsbezogenen Begriff im Namen, davon 1.700 Alternative Investmentfonds (AIFs) und 4.800 UCITS-Fonds. In Deutschland könnten weit über 1.000 Fonds mit einem ESG-relevanten Begriff benannt sein. Lühmann rechnet damit, dass sich die Anzahl der ESG-benannten Fonds künftig verringern könnte. Viele Asset Manager könnten künftig bewusst auf eine solche Benennung verzichten – eben weil die Auslegung der Richtlinie teilweise noch unklar sei. Um sich nicht ansatzweise dem Vorwurf des Greenwashings auszusetzen, könnten viele Fondsanbieter zunächst auf eine ESG-Benennung verzichten, bis Unklarheiten beseitigt sind. Die ESMA möchte künftig Klarheit haben, dass dort, wo ESG draufsteht, auch ESG drin ist. Doch umgekehrt könnte dann auch häufiger der Fall sein: Wo ESG nicht draufsteht, könnte trotzdem sehr viel ESG drin sein. Die BaFin ist daher im Zugzwang, für mehr Klarheit in der nationalen Auslegung zu sorgen.
Ob die ESMA-Leitlinien zu der gewünschten besseren Orientierung bei Anlegerinnen und Anlegern führen, werde sich zeigen. Unabhängig von den Fondsnamen-Leitlinien diene die bereits bestehende EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) mit der Kategorisierung in Artikel-9- und Artikel-8-Fonds als Richtschnur, zu welchem Grad ein Fonds als nachhaltig anzusehen ist.