grüne Wiese unter leicht wolkigem Himmel

Risikobewertung bei ESG bleibt weiter grösste Herausforderung

Neue digitale Technologien werden Finanzunternehmen dabei helfen, sich im komplexen Geflecht von Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG) zurechtzufinden – jetzt und in Zukunft.

„Die klassische Risikobewertung im Finanzsektor schaut auf das, was in der Vergangenheit gescheitert ist. Durch den Klimawandel geht es nun jedoch darum, die Zukunft vorherzusagen“, erklärt Eric Usher, Leiter der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI). „Das ist nicht einfach und deshalb arbeiten wir mit unseren Mitgliedern an der Entwicklung von Normen und Standards, um darauf reagieren zu können.” Seit 2018 wurden weltweit mehr als 170 ESG-bezogene Regulierungsmaßnahmen vorgeschlagen. Finanzinstitute betrachten ESG-Risiken zunehmend nicht nur aus der ethischen Perspektive, sondern auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen.

Der Einfluss des Finanzdienstleistungssektors auf Klimaauswirkungen sollte nicht unterschätzt werden. Die jährlichen Investitionen in saubere Energien müssen sich bis 2030 auf jährlich rund 4 Billionen US-Dollar mehr als verdreifachen. Finanzunternehmen spielen bei diesem Übergang zu einer grünen Wirtschaft eine entscheidende Rolle.

Covid-19 hat die Abhängigkeit der Finanzinstitute vom Klimawandel noch mehr verdeutlicht. Die Regulierungsbehörden verschärfen die Offenlegungspflichten für Finanzdienstleister und Anleger suchen zunehmend nach nachhaltigen Produkten. Initiativen wie die Taskforce on Climate-related Financial Disclosure (Arbeitsgruppe für klimabezogene finanzielle Offenlegung – TFCD) haben die Aufmerksamkeit von Zentralbanken, Finanzinstituten und Unternehmen gleichermaßen auf sich gezogen.

Für einige Institutionen liegt der Schwerpunkt jedoch nach wie vor auf den Reputations- und Geschäftsmöglichkeiten, die sich durch ESG ergeben. Jetzt ist es an der Zeit, dass der Finanzsektor ESG-Risiken als integralen Bestandteil seines Risikomanagement-Portfolios betrachtet.

Die Realitäten des ESG-Risikos

Umweltbedrohungen, soziale Ungleichheit und unternehmerisches Fehlverhalten machen Finanzinstitute ohne ein starkes ESG-bezogenes Risikomanagementsystem angreifbar.

Extreme Wetterbedingungen wie Überschwemmungen können für Finanzinstitute beispielsweise einen Ausfall von Hypotheken, die Entwertung von Immobilien oder den Rückgang von Spareinlagen bedeuten. Aber auch Umweltvorschriften wie Steuern auf Einwegplastik oder nicht erneuerbare Energien wirken sich negativ aus. Das Klimarisiko kann zudem Folgen für die Vermögenswerte haben, in die ein Finanzinstitut investiert hat. Die Umstellung auf Elektrifizierung im Automobilsektor etwa wird zu gestrandeten Vermögenswerten in Produktionslinien für Verbrennungsmotoren führen.

Auch der Konflikt in der Ukraine hat das Szenario der Energiesicherheit in Europa schlagartig verändert. Das wird möglicherweise auf die Einführung der EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen durchschlagen, da in unmittelbarer Zukunft neue Investitionen erforderlich sein werden, um Energiekontingente zu sichern.

Es gibt viele Beispiele für externe und finanzielle Auswirkungen, die Institute bei der Bewertung von ESG-Risiken berücksichtigen müssen. Zugleich können sich die Folgen auf weitere Geschäftsbereiche ausbreiten und zum Beispiel Betriebsstörungen, Reputationsschäden und strategische Umwälzungen nach sich ziehen.

Dies wird noch dadurch verschärft, dass sich die Definition von Nachhaltigkeit ständig ändert. Weltereignisse und sich entwickelnde geopolitische Störungen können das Tempo und die Art des ESG-Risikos beeinflussen. Vor dem Krieg in der Ukraine war der Öl- und Gasverbrauch rückläufig, doch jetzt müssen die EU-Regierungen diese Kürzungen aus geopolitischen Gründen beschleunigen.

Es ist kein Wunder, dass die Bewertung von ESG-Risiken für viele Unternehmen eine Herausforderung darstellt. Es mangelt an Verständnis für externe Faktoren, die das Risiko beeinflussen. Und auch die wachsende Bedeutung nicht-finanzieller Auswirkungen ist für Finanzinstitute aufgrund der traditionellen Arbeitsweise von Unternehmen möglicherweise nicht sofort ersichtlich.

Sobald man es erkennt, kann man es steuern

Art, Qualität und Glaubwürdigkeit der ESG-Daten verbessern sich mit der Verschärfung der Vorschriften und der Straffung des Offenlegungsrahmens. Dies führt dazu, dass immer ausgefeiltere Analysewerkzeuge und -methoden benötigt werden, um die Risiken zu bewerten und Stress-Levels zu testen – weg von qualitativen hin zu quantitativen Methoden.

Darüber hinaus werden bei der Bewertung von ESG-Risiken die Fähigkeiten von Branchenexperten, Datenwissenschaftlern, Mathematikern und Wirtschaftswissenschaftlern kombiniert. Bei den meisten ESG-Risiken handelt es sich nämlich nicht um isolierte Risiken, sondern um Risikocluster, also kumulierte Risiken mit separaten und deutlich anderen Ergebnissen und Größenordnungen. Daher müssen die von den Unternehmen designten Instrumente hochentwickelte Algorithmen verwenden, die mehrere Regressionsmodelle gleichzeitig durchrechnen können. Der Klimawandel sollte nicht als isoliertes Risiko behandelt werden, sondern muss beispielsweise zusammen mit Wasserknappheit und schlechter landwirtschaftlicher Produktion bewertet werden. Die sich daraus ergebende Beziehung zwischen diesen Variablen bedeutet, dass das Risikocluster weitaus größer ist als das mit jeder einzelnen Variablen verbundene Risiko.

Ein Beispiel: Da der Klimawandel die Art der Kaffeeproduktion verändert, das Wasser immer knapper wird und schlechte Techniken vorherrschen, werden die negativen Auswirkungen auf das Einkommen der Kaffeepflücker durch das Zusammenwirken der Variablen noch verstärkt. Dies wiederum hat negative Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft und die Unternehmen. Die genaue Bewertung des Ausmaßes eines solchen Risikoclusters erfordert Datenerfassung, Analysen sowie ein tiefes sozioökonomisches Verständnis.

Digitale Technologien bewältigen Datenmengen zur Risikobewertung

ESG-Risiken sind nach wie vor komplex und schwer vorhersehbar, aber künftige Risikobewertungsinstrumente und -strategien werden sich auf mehrere Datenquellen stützen. Dazu gehören auch externe und außerfinanzielle Faktoren, die nicht zu den üblichen, für Investitionen analysierten Finanzvariablen gehören. Sie müssen aber dennoch berücksichtigt werden, um ein Gesamtbild der Verflechtung von Risikoclustern zu erhalten.

Viele der erforderlichen digitalen Lösungen sind noch im Entstehen begriffen. Neue digitale Technologien werden den Finanzinstituten helfen, riesige Daten- und Informationsmengen durch eine Reihe von Algorithmus-basierten Modellen zu verarbeiten. In Zukunft werden sich Risikomanager in Finanzinstituten auf maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz mit digitalen Identitätssystemen und probabilistischer Blockchain verlassen, um zeitnahe Risikomanagemententscheidungen zu treffen.

Diese Entscheidungen werden Führungskräften helfen, Risiken zu managen und letztlich ihre Unternehmen verantwortungsvoll zu führen.