Die zunehmende Bedeutung von Sustainable Finance im Finanzsektor
Regulatorik, veränderte Verbrauchererwartungen und zunehmender Wettbewerbsdruck haben dazu geführt, dass sich die Finanzbranche derzeit sehr intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit und seinen drei Dimensionen E (Environment), S (Soziales) und G (Governance) auseinandersetzen muss. Die Integration von ESG-Aspekten in die Bereiche Strategie, Governance, Produkte, Risikomanagement und Reporting ist jedoch nicht nur regulatorisch vorgeschrieben, sondern eine zentrale Voraussetzung, um sich als Finanzunternehmen zukunftsorientiert und resilient aufzustellen. Die Entwicklung künftiger Kredit- und Anlageprodukte wird auch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in globalen Lieferketten haben.
Die Finanzindustrie hat als Kreditgeber und Investor eine entscheidende Hebelfunktion in der Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, da sie Finanzströme gezielt in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten lenken kann (Sustainable Finance). Die EU hat dies erkannt und daher bereits weitreichende Regulierungen auf den Weg gebracht, die mehr Transparenz, Standardisierung und ein verbessertes Risikomanagement bewirken sollen. Darunter fallen die EU-Taxonomie-Verordnung, ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, die Richtlinie zur Nachhaltigkeits-berichterstattung von Unternehmen (CSRD) und die Offenlegungsverordnung (SFDR). Letztere soll mehr Transparenz für Anleger über die ESG-Kriterien von Finanzprodukten schaffen und so Greenwashing verhindern. Die Offenlegungsanforderungen variieren nach Art des Finanzprodukts. Diese werden nach „Nachhaltigkeit“ klassifiziert. Für „nachhaltigere“ Produkte gibt es auch mehr Offenlegungspflichten. Sie betreffen zum Beispiel vorvertragliche Informationen, Webseiten und regelmäßige Berichte.
Noch fehlen ESG-Daten aus der Realwirtschaft
Um den zunehmenden regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden, brauchen die betroffenen Finanzinstitute ESG-Daten. Dabei gibt es drei verschiedene Arten von Datenquellen: (i) interne Daten, zum Beispiel ESG-Kundendaten, (ii) externe Daten, zum Beispiel ESG-Ratings und (iii) Approximation, zum Beispiel Schätzungen. Momentan fehlen der Finanzwirtschaft jedoch vielfach interne Daten, da die Realwirtschaft bestimmte Offenlegungspflichten, beispielsweise gemäß der Taxonomie, zeitgleich oder über die CSRD erst deutlich später erfüllen muss. Daher kann sie im ersten Durchlauf meist nicht auf die Offenlegungen aus der Realwirtschaft zurückgreifen, sondern muss momentan weitestgehend externe Daten verwenden. Das Problem hierbei ist jedoch die fehlende Transparenz und Standardisierung von ESG-Ratings, wodurch keine wirkliche Vergleich- oder Prüfbarkeit besteht. Abgesehen von mangelnden Standards ist die Datenlage aktuell als sehr schlecht zu bewerten.
Beispielsweise ist es für Finanzunternehmen Stand heute nicht möglich, ein zu finanzierendes Immobilienprojekt mit vertretbarem Aufwand eigenständig nach definierten ESG-Kriterien zu bewerten. Hier fehlen Informationen über die Einhaltung von Verbrauchsdaten für Energie- und Sanitärtechnik, Nachweise über die Verwendung bestimmter Baustoffe sowie ein berechneter CO2-Fußabdruck der geplanten Immobilie. Gleiches gilt für IT-Lösungen, mit denen Finanzorganisationen Bewertungen dieser Art überhaupt durchführen können. Etwas besser sieht es im Bereich Lieferketten aus: Um strategisch wichtige Vorhaben zu finanzieren oder Lieferanten schneller zu bezahlen, sind Unternehmen stets an guten Kreditkonditionen interessiert. Auch diese werden künftig stark mit der Einhaltung von ESG-Standards verknüpft. Anbieter von Nachhaltigkeitsrankings und Risikodaten können bereits eine Reihe valider Informationen als Bewertungsgrundlage liefern. Dazu zählen unter anderem Daten über die Einhaltung grundlegender CSR- und Umweltstandards sowie Informationen zu verursachten CO2-Emissionen. Ein schlüssiges Bild über die ESG-Performance einer Organisation ergibt sich jedoch nur dann, wenn auch Lieferanten und deren Lieferketten in die Bewertung einfließen. Moderne Einkaufslösungen bieten diese Funktionalitäten technisch bereits, doch steigt und fällt die Qualität jeder Bewertung mit der Kenntnis und Daten über Sub-Lieferanten und deren Partnern. Diese ist Stand heute noch nicht gegeben – von globaler Transparenz sind wir also derzeit noch meilenweit entfernt.
Auf EU-Ebene gibt es Initiativen seitens der European Securities and Markets Authority (ESMA), ESG-Ratings zu regulieren. Anfang 2023 könnte es einen ersten Gesetzesentwurf seitens der EU-Kommission geben. Doch nicht alle Regulierungen erlauben die Nutzung von Approximation – die SFDR gestattet dies nur in Ausnahmefällen. Doch unabhängig vom Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens gilt: Einheitliche ESG-Ratings und valide Daten sind die wichtigsten Voraussetzungen für jegliche Form für alle Bewertungen. Erst wenn diese definiert vorliegen, können sie in Softwarelösungen integriert, strukturiert ausgewertet und den betreffenden Stakeholdern in Form von Reports zur Verfügung gestellt werden. Die Schaffung der dazu notwendigen Voraussetzungen ist alles andere als einfach – angesichts der immer umfangreicheren Berichtspflichten werden jedoch weder Finanzunternehmen noch deren Kunden umhinkommen, die damit verbundenen Herausforderungen zu lösen.
Klima- und Umweltrisiken haben Einfluss auf Kreditvergabe
Mit der Zeit wird sich das Problem der fehlenden ESG-Daten verkleinern, da mit Inkrafttreten der CSRD ab 2024 mehr ESG-Daten aus der Realwirtschaft zur Verfügung stehen werden. Neben dem Regulator hat auch die Aufsicht die Relevanz von ESG-Faktoren für die Stabilität des Finanzsystems erkannt. In ihrem Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken hat die EZB 13 Erwartungen darüber formuliert, wie Kreditinstitute diese in ihre Strategie, ihre Governance, ihr Risikomanagement und ihr Reporting integrieren müssen. Im Rahmen ihrer jährlichen „thematischen Überprüfung zu Klima- und Umweltrisiken“ befragt sie die von ihr beaufsichtigten Institute zum Umsetzungsstand dieser Erwartungen. Die Ergebnisse fließen ein in den SREP-Prozess und können indirekt zu Kapitalanforderungen (P2R) führen. Unter anderem erwartet die Europäische Zentralbank (EZB) auch, dass Klima- und Umweltrisiken in den Kreditvergabeprozess integriert werden (Erwartung 8). So beginnen Kreditinstitute beispielsweise bei der Vergabe von Immobilienkrediten die Auswirkungen von physischen Risiken, zum Beispiel Flutkatastrophen, auf Immobilien zu messen und ihre Kreditkonditionen daran zu knüpfen. Zusätzlich führte die EZB 2022 erstmals einen aufsichtsrechtlichen Klimastresstest durch, in welchem die von ihr beaufsichtigten Institute ihre Resilienz gegenüber Klima- und Umweltrisiken unter Beweis stellen mussten – was auch gelang.
Fazit: Anforderungen an Banken und Kunden werden weiter steigen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht nur der Regulator und die Aufsicht hohe Anforderungen an Finanzinstitute stellen, auch Kunden und andere Stakeholder haben zunehmend hohe Erwartungen. Gleichzeitig ist sowohl der Aufsicht als auch dem Gesetzgeber bewusst, dass die Erfüllung aller Anforderungen momentan, insbesondere aufgrund der mangelnden Datenverfügbarkeit, noch sehr herausfordernd ist. So machte die EZB beispielsweise bei der Veröffentlichung der Klimastresstestergebnisse deutlich, dass diese mit Vorsicht zu genießen sind und das Ganze mehr als eine „Learning Exercise“ sowohl für die Institute als auch die Aufsicht anzusehen ist. Jedoch wird die Prüfung der offengelegten Informationen zunehmen. Die im Rahmen der SFDR offengelegten Informationen werden bereits seit 2021 geprüft, für die CSRD gilt ab 2025 eine begrenzte und zwei Jahre später eine hinreichende Prüfpflicht. Außerdem ist es möglich, dass die Anforderungen weiter steigen und über die Offenlegung von Informationen hin zur Formulierung von Mindestschwellen und einer Konditionalität hinausgehen werden. Denn durch eine Offenlegung allein werden Geldströme noch nicht automatisch in Richtung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten gelenkt. Hier bleibt abzuwarten, wie sich die Gesetzgebung weiterentwickeln wird.