„Mind the gap“ – Nachhaltigkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Wer die U-Bahn am Finanzplatz London nimmt, wird auf die drohende Gefahr hingewiesen: „Mind the gap between the train and the plattform“, den Spalt zwischen Plattform und Zug. Nur ein kleiner Schritt, dann ist er überwunden, aber sind Sie nicht durchsetzungsstark, erreichen Sie ihn gar nicht erst – vor allem in der Rushhour. Der Zug rast ohne Sie davon.
Der Nachhaltigkeitszug hat im vergangenen Jahr noch einmal an Fahrt gewonnen. Am Bahnsteig bleiben jene stehen, die nicht mitfahren können, es nicht wollen oder gar nicht wissen, warum sie es tun sollten. Im Rahmen der Regulatorik laufen Politik und Finanzwirtschaft Gefahr, diejenigen stehen zu lassen, die der größte Hebel der nachhaltigen Transformation sind: die Verbraucher, die Mittelständler. Ohne sie aber wird der Green-Deal zum Greenwashing.
Sparkassen als Taktgeber im Mittelstand
Mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ist in deutschen Betrieben ein enormer Investitionsbedarf entstanden. Es liegt in der Genetik der Sparkassen, den Mittelstand bei diesem Transformationsprozess zu begleiten. Oder besser: beim Gros der Unternehmen überhaupt erst einmal anzustoßen. Denn was in Brüssel entschieden und in einem norddeutschen Kleinbetrieb wirkungsvoll umgesetzt werden kann, ist zweierlei.
Viele Betriebe laborieren noch an den COVID-Folgen, haben die Digitalisierung bisher nicht geschafft, kämpfen mit Fachkräftemangel und Inflation und müssen sich nun unter Druck mit Themen wie Energieeffizienz, nachhaltigen Lieferketten oder Equal Pay auseinandersetzen. Doch ein „entweder – oder“ gibt es nicht. Sie müssen alles bewältigen, insbesondere die nachhaltige und die digitale Transformation. Denn Nachhaltigkeit geht nur mit Digitalität und Digitalität bedeutet Nachhaltigkeit. Es ist unser Anspruch, diesen Konflikt aufzulösen und Finanzierungen zu arrangieren.
Unsere Markt- und Branchenkenntnis erlaubt es uns, auf die heterogene Ausgangssituation zu reagieren und den Betrieb an dem Punkt in den Zug zu holen, an dem er steht. Dabei profitieren wir von den Erfahrungen anderer großer Entwicklungen wie der Einführung der Paymentprozesse. Was uns im Einzelhandel gelungen ist, dient als Blaupause für die Transformation Richtung Nachhaltigkeit.
Sensibilisierung, Analyse, Handlungsableitungen – seit Jahresbeginn setzen wir dafür im Firmenkundengespräch einen standardisierten bildschirmgestützten Beratungsprozess ein. Damit lässt sich der Nachhaltigkeitsgrad unserer Unternehmen systematisch ermitteln. Wir klassifizieren die Branche anhand der ESG-Kriterien, ermitteln den Score-Wert von A bis E sowie die Nachhaltigkeitsrisiken und Handlungspotentiale für die Unternehmen selbst. Die Erfassung erfolgt im Sparkassensystem OSPlus und wird so im Data-Mining hinterlegt, um die Transformation des Unternehmens in einem andauernden Prozess zu begleiten. Ein klar definierter Ablauf, dokumentierbar, effektiv im Sinne der Nachhaltigkeit.
Was ist grün?
Ganz anders sieht die Welt im Investmentbereich aus. Unsere Kunden möchten in nachhaltige Produkte investieren, können sie aber nicht definieren. Sie wissen meist nicht, was sie wollen, sondern was sie nicht wollen: Atomkraft, Kinderarbeit, Waffen. Studien zeigen, dass ein Retailkunde meist etwas ganz anderes unter Nachhaltigkeit versteht, als sein Kundenberater.
Was an dem einen Ende der Kaskade auseinanderklafft, wird am anderen Ende nicht besser: Eine Taxonomie und damit Marktklarheit zu echten Impact-Produkten gibt es (noch) nicht. Die Herausforderung ist es also heute, im Kundengespräch das aufzulösen, was an anderer Stelle noch völlig offen ist.
Die Gefahr des Greenwashings ist für die ganze Branche eine zentrale und stetig in der Überprüfung befindliche Frage. Deshalb setzen wir als Sparkasse auf standardisierte, zertifizierte Produkte eines der größten deutschen Wertpapierhäuser. Gemeinsam haben wir Nachhaltigkeitszertifikate aufgelegt, die sich zwar steigender Nachfrage erfreuen, dem Vergleich aber nicht immer standhalten. Denn Rendite bleibt Treiber, vor dem grünem Gewissen. Aber kann eine hohe Rendite grün sein? Und was ist überhaupt eine echte grüne Geldanlage? Allein durch das Ausschließen bestimmter Kriterien bekommen Anlagen einen nachhaltigen Charakter. Doch ist es das, was die Menschen wollen? Sie wollen doch viel mehr echte, nachhaltige Wirkung erzielen, die ohne ihr Zutun nicht entstehen würde. Wenn das wirklich der Fall ist, relativiert sich bei höherer Bonität des Kunden auch die Renditevorstellung.
Es ist die zentrale Frage unserer Zeit, wann graues Geld tatsächlich zu grünem wird. Auf dem Weg zu einem echtem Impact-Produkt für Retailkunden erklären unsere Kundenberater diese anspruchsvolle Komplexität nachhaltiger Finanzprodukte. Weil es unser Auftrag ist, weil es uns wichtig ist und weil es der Gesetzgeber verlangt. Derselbe Gesetzgeber, der simple Food-Ampeln diskutiert, weil die Menschen angeblich nicht verstehen, was gesund ist und was nicht.
Im Wealth-Management lässt sich der Impact-Anspruch einfacher umsetzen. Durch direkte Kapitalflüsse und Kreislaufmodelle kann ich die unmittelbar erzielte Wirkung meiner Investition nachweisen, zumindest bis zu einem höheren Grad als im Retailgeschäft. In welchem wir im Übrigen das älteste nachhaltige Finanzprodukt unserer Geschichte haben: das Sparbuch. Ausgegeben von einer institutsgesicherten Sparkasse, welche gegründet wurde, wirtschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, welche die Region mitgestaltet, den CO2 Fußabdruck minimiert und gendergerechte Arbeitsplätze bietet. Wenn die ersparten Gelder dann noch für lokale Transformationsfinanzierungen genutzt werden, bietet das Sparbuch einen echten Impact. Im Übrigen ist es ein Produkt, welches aufgrund der Zinswende ebenso wie der Bausparvertrag eine Renaissance erleben wird. Wir spüren es jetzt schon: Das Verlangen nach verzinsten Anlageprodukten war nie weg, die Nachfrage ist heute sehr groß. Größer als nach nachhaltigen Geldanlagen. Sicherheit und Rendite sind es, was unsere Kunden wollen. Es ist an uns, diesen Anspruch mit echten nachhaltigen Angeboten in der Zukunft zu erfüllen.
Unser Auftrag…
für die nächsten Jahre ist es also, gemeinsam mit unseren Kunden Kapitalinvestments zu identifizieren, die mit ihrer Kapitalkraft einen echten, messbaren Impact bieten. Zusammen mit der Transformationsbegleitung des Mittelstands, der Digitalisierung und der Umsetzung von Compliance-Anforderungen können wir von einer auskömmlichen Auftragslage sprechen.