Investitionen in ESG-Maßnahmen: Eher Verpflichtung als Chance

Die Unternehmen weltweit stehen vor der Herausforderung, ihre Produkte und Prozesse nachhaltiger auszurichten. Den Rahmen dafür setzen einerseits Regularien, zum anderen ist die nachhaltige Transformation für viele Unternehmen eine strategische Option, um neue Geschäftsfelder zu erschließen oder neue Zielgruppen anzusprechen.

Während viele Branchen das Investieren in ESG-Maßnahmen überwiegend als eine Option für mehr Wachstum ansehen, stellt dies für Finanzunternehmen eher eine Verpflichtung gegenüber dem Gesetzgeber oder Investoren dar, die es zu erfüllen gilt. Dies ergab eine Umfrage der internationalen Wirtschaftskanzlei Simmons & Simmons unter 600 Führungskräften (C-Level) von Unternehmen unterschiedlicher Branchen in Europa, Großbritannien, in den USA, im Mittleren Osten sowie in Asien. Zu den 200 Finanzunternehmen, die im Rahmen der Studie befragt wurden, zählen vor allem Finanzinstitute wie Banken sowie Asset Manager. Schwerpunkt der Umfrage, die vom Beratungs- und Research-Unternehmen Momentum ITSMA durchgeführt wurde, waren Ziele und Aktivitäten auf dem Gebiet der drei Bereiche Environmental, Social und Governance (ESG).

 Investitionen in ESG-Maßnahmen

„Viele Finanzunternehmen sehen sich eher in einer Rolle der ‚Getriebenen‘ durch ESG-Anforderungen. Auch wenn ESG-Regularien für die Finanzindustrie komplex sind, lohnt es sich, die nachhaltige Ausrichtung von Prozessen und Produkten auch als Wachstumschance zu begreifen“, meint Dr. Harald Glander, Partner bei Simmons & Simmons mit Schwerpunkt Asset Management, Fonds und ESG-Regulatorik.

 Mehr als drei Viertel der Finanzunternehmen sehen ESG als Verpflichtung an

Mehr als drei Viertel der befragten Finanzunternehmen (82 Prozent) stimmten der Aussage zu, dass ihre Investments in Nachhaltigkeit primär durch Verpflichtungen gegenüber Gesetzgebern, Investoren oder anderen externen Stakeholdern getrieben sind. Demgegenüber stimmten nur 69 Prozent der Aussage zu, dass ihr Unternehmen primär in nachhaltige Projekte investiert, um Wachstumsziele wie etwa steigende Gewinne zu verfolgen. Für andere Branchen wie Gesundheit, Technologie & Telekommunikation, Energie sowie Immobilien & Infrastruktur stehen hingegen primär Wachstumsziele im Zusammenhang mit ESG-Aktivitäten im Vordergrund.

Dabei haben die Verantwortlichen des Finanzsektors durchaus eine klare Meinung über die positiven Auswirkungen, sich als Firma nachhaltiger aufzustellen: 89 Prozent der Befragten stimmen zu, dass Unternehmen, die am effektivsten in Nachhaltigkeit investieren, in den nächsten fünf bis zehn Jahren finanziell am besten abschneiden werden. 79 Prozent gehen davon aus, dass das Engagement für Nachhaltigkeit neue Verbrauchermärkte erschließen kann.

Gefragt nach den Top-Prioritäten für interne Investments in Nachhaltigkeit antwortete die Mehrzahl der Befragten aus der Finanzindustrie mit einem verbesserten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten (54 Prozent), gefolgt vom Launch neuer Produkte oder Services (50 Prozent) sowie um Forderungen von Investoren zu entsprechen (48 Prozent).

Furcht vor Rechtsstreitigkeiten, Strafen und Greenwashing-Vorwürfen

Als größtes Risiko im Zusammenhang mit dem Thema ESG sehen Finanzunternehmen weltweit Rechtsstreitigkeiten oder Strafen aufgrund der Nichteinhaltung von ESG-Regularien an (58 Prozent), gefolgt von der Sorge, Investitionen zu verlieren aufgrund unzureichender Nachweise über nachhaltiges Handeln (47 Prozent). Reputationsverluste durch eine mögliche Wahrnehmung als „Greenwasher“ befürchten 41 Prozent der Finanzunternehmen.

Die Bedeutung des Themas „Greenwashing“ zeigt sich auch an anderer Stelle in der Umfrage: Nur 59 Prozent der befragten Finanzunternehmen sehen ihr eigenes Unternehmen gut aufgestellt, um die geltenden Vorschriften im Zusammenhang mit „Greenwashing“ zu erfüllen. Zum Vergleich: 84 Prozent der Finanzunternehmen sehen sich bei der Erfüllung von Regularien beim Thema Diversity und Inklusion gut aufgestellt. Auch beim Thema Klimaadaption sieht sich die Finanzindustrie mit 79 Prozent Zustimmung gut gewappnet gegenüber gesetzlichen Vorschriften. Dies ist insofern keine Überraschung, als die internen Nachhaltigkeitsinvestments nach Angaben der Finanzunternehmen tatsächlich in erster Linie in diese beiden Bereiche fließen (Diversity & Inklusion: 76 Prozent; Klimaadaption: 60 Prozent).

„Die Sorge, dass es in Zusammenhang mit ESG zu Rechtsstreitigkeiten kommen könnte oder des ‚Greenwashings‘ bezichtigt zu werden, ist bei Finanzunternehmen besonders stark ausgeprägt. Daraus spricht auch ein Stück weit Unsicherheit über die Auslegung der geltenden Regularien, etwa wo ‚Greenwashing‘ anfängt. Das aktive Auseinandersetzen mit bestehenden und auch kommenden Regularien ist daher ein entscheidender Faktor, um langfristig rechtssicher zu agieren“, erläutert Dr. Harald Glander. Die Folgen möglicher ESG-Verstöße seien gravierend. Vor allem Kunden und Investoren reagierten aus Sicht von Dr. Harald Glander zunehmend sensibel darauf. „Unternehmen müssen sich darüber im Klaren sein, dass das, was sie sagen, korrekt ist, und dass sie auch das tun, was sie sagen”, fasst Dr. Glander zusammen. Bei vielen Unternehmen sei sogar bereits ein „Greenhushing” festzustellen, also ein Zurückhalten bei der Veröffentlichung von Nachhaltigkeitspraktiken, um keine Angriffsfläche zu bieten. Gleichzeitig werde aber auch das, was nicht explizit gesagt wird, immer kritischer unter die Lupe genommen – für Unternehmen stellt dies eine immer herausforderndere Situation dar.

 Stärkung eigener Kompetenzen, mehr Austausch mit Gesetzgeber, klarere Datenanforderungen gewünscht

Um sich im Bereich Nachhaltigkeit besser aufzustellen und Chancen, die in der Umsetzung von ESG-Maßnahmen liegen, zu nutzen, sehen Finanzunternehmen in erster Linie die Stärkung von Kompetenzen im eigenen Hause an (61 Prozent) – wozu vor allem die Gewinnung von Fachkräften mit fundierten Erfahrungen bei Nachhaltigkeitsprojekten zählt. Eine größere Transparenz entlang der Wertschöpfungskette (Kunden, Lieferanten, Investoren) sehen 54 Prozent der Finanzdienstleister als nützlich an, einen engeren Dialog mit dem Gesetzgeber im Hinblick auf ESG-Gesetzgebung wünschen sich 49 Prozent von ihnen. Auch das Thema Daten treibt die Finanzindustrie um: Eine größere Klarheit in Bezug auf die Anforderung von Daten, um die Erfüllung von regulatorischen Nachhaltigkeitskriterien zu belegen, wünschen sich 45 Prozent der Finanzunternehmen.

„Die Umfrage zeigt, dass es für die Finanzindustrie sehr herausfordernd ist, mit regulatorischen Anforderungen im Bereich ESG Schritt zu halten. Der Gesetzgeber sollte dies berücksichtigen und etwa bei der Offenlegung von Daten und Informationen für mehr Klarheit sorgen“, fasst Dr. Harald Glander zusammen. Aktuell gelte es beispielsweise für Finanzunternehmen, die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR), die Anlegern eine bessere Informationsgrundlage zu nachhaltigen Finanzprodukten bieten soll, umzusetzen.

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